Szenisch harmlos, musikalisch munter: Stephen Sondheims Musical „Sweeney Todd“ im Kieler Opernhaus
Von Christoph Munk
Kiel. Immer wieder zog er das scharfe Messer durch die Kehlen seiner arglosen Opfer. Er betrieb sein Geschäft blutig, brutal und mit tödlicher Konsequenz. So wurde aus einem selbstgerechten Rächer eine Legendenfigur und der Titelheld eines Musical-Thrillers von Stephen Sondheim: „Sweeney Todd – Der Teufelsbarbier von der Fleet Street“. 40 Jahre nach seiner Uraufführung am Broadway geht das Werk jetzt als eine gemütlich gruselige Schauergeschichte in der Inszenierung von Ricarda Regina Ludigkeit über die Bühne des Kieler Opernhauses.

Bald machen sie gemeinsame Sache: Barbier Sweeney Todd (Jörg Sabrowski) und Pastetenbäckerin Mrs. Lovett (Heike Wittlieb). (Fotos: Olaf Struck)
Wie es sich gehört, beginnt die längliche Moritat mit einer breit dargelegten Chorballade, die den dahingeschiedenen Missetäter in zwiespältigem Gedenken feiert: Die Abscheu vor seinen üblen Taten wird überlagert von der Bewunderung für die auffällige Eleganz, mit der er sein mörderisches Handwerk erledigte – einer perfekten Maschine gleich. In einem abwechslungsreichen Bilderbogen folgt darauf die umständliche Erzählung der Geschehnisse. Denn ihren Ablauf fasst Ricarda Regina Ludigkeit eher in eine episch ausufernde Form als in eine dramatisch zugespitzte Theater-Story.
Sie führt in die finsteren Quartiere Londons zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Bühne hat Hans Kudlich mit bewährtem Geschick den Erfordernissen rascher Schauplatzwechsel angepasst: die Gassen, Sweeney Todds Barbierstube, den Laden der Pastetenbäckerin Mrs. Lovett, das Haus des Richters Turpin, die Irrenanstalt – alles ergibt sich mühelos im Kreisen der Drehbühne. Und alles scheint mit den schräg schraffierten und schiefwinkligen Versatzstücken und der Einfärbung in trübes Sepia intensiv inspiriert vom deutschen Filmexpressionismus, als befinde sich das Kabinett des Dr. Caligari gleich hier um die Ecke. Gebrochen schön sieht das aus, aber wenig schaurig.
Natürlich ist es abscheulich, was der Teufelsbarbier da treibt, auch wenn Sweeney Todd durch sein bitteres Schicksal mit gerechter Motivation handelt: Er selbst 15 Jahre lang verbannt, seine Frau geraubt und vergewaltigt, seine Tochter entführt – der arme Mann hat himmelschreiendes Unrecht erlitten und fordert jetzt, allerdings auf schlimmste Weise, seine Vergeltung: So wird er mit einem Akt von exzessiver Selbstjustiz zum Massenmörder. Und Mrs. Lovetts geschäftstüchtige Passion, aus den Leichen Pasteten zu backen, räuchert Todds Gräueltaten im Gestank kannibalistischer Wut.
Genug des Schreckens. Oder zu viel, wie es ein paar Premierenflüchtlinge zur Pause empfinden. Gewiss: Den Horrortrip des Teufelsbarbiers macht für gewöhnlich erst eine gute Portion schwarzen Humors genießbar. Doch den lässt Ricarda Regina Ludigkeits Inszenierung schmerzlich vermissen. Schätzte man die Regisseurin und Choreografin bisher für ihre Fähigkeit, jede bekannte Musical-Chose in neuen Schwung zu versetzen, gelingt ihr diesmal nicht mehr als eine redliche, zähe Nacherzählung. Gewissenhaft führt sie von Szene zu Szene, stellt den Chor (wie immer präzise einstudiert von Lam Tran Dinh) mit umständlich statuarischen Auftritten ins Bühnenbild, unterlässt es, Episoden drastisch zuzuspitzen und Figuren scharfe Profile zu verpassen. Zu sehen ist eine gut gemeinte, bis in die Nebenrollen solide ausgeführte Pflichtübung. Es fehlt eine von garstigem Witz belebte Kür.

Tödliche Streiche mit scharfem Messer und Eleganz: Todd (Jörg Sabrowski) Richter Turpin (Hans Neblung).
Die beiden Kammersänger des Kieler Musiktheaters zeigen sich zwar gut und fachgerecht bei Stimme, führen ihre Darstellung aber kaum über den Modus der gedeckten Behäbigkeit hinaus. Zwar lässt Heike Wittlieb in der Figur der Mrs. Lovett gelegentlich eine durchtriebene Lust an komödiantischer Verschärfung erkennen, doch auch ihr Spiel erschöpft sich in den Längen der Handlungsstränge. Jörg Sabrowski aber geht von Beginn an den Weg der soliden Figurenzeichnung. Sein Sweeney Todd ist ein gekränkter Bürger, der vor der Gemeinde seine Gerechtigkeit sucht. Seine Maske zeigt einen Biedermann beim Vollzug seines vom Schicksal vorgegebenen Auftrags. Den Bruch, den ein anständiger Mensch zum Monster werden lässt, führt Sabrowski nicht vor.
Im Gegensatz zum schleppenden Moderato auf der Bühne klingt die musikalische Begleitung aus dem Graben in aufregend munterer Vielfalt. Moritz Caffier verfolgt mit dem Philharmonischen Orchester alle stilistischen Varianten und waghalsigen Winkelzüge, an denen Stephen Sondheims Partitur reich ist. Da wird die Musik zum schelmischen Partner des fast durchweg gesungenen Dialogs und zum gewitzten Kommentator des szenischen Geschehens. Gewiss fehlt Sondheims Komposition der einprägsame Hit, aber sie erfüllt ihre Aufgabe als höchst unterhaltsame Ergänzung zum diesmal harmlos ablaufenden Thriller auf der Szene.
Das Premierenpublikum, soweit es bis zum Finale ausharrte, bedankte sich mit wohlwollendem Applaus für szenisch gelinde gehaltene Schreckenserfahrungen und musikalisch geschärfte Scherze.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
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