Im Polnischen Theater ist Astrit Geci „Ein ganz gewöhnlicher Jude“
Von Hannes Hansen
Kiel. Der Journalist Emanuel Goldfarb ist außer sich vor Wut. Ein gutmeinender Lehrer hat an die jüdische Gemeinde in Hamburg einen Brief geschrieben, in dem er darum bittet, ihm „ein Mitglied Ihrer Religionsgemeinschaft“ zu vermitteln, der seinen Schülern erzählen kann, wie man sich als Jude in Deutschland so fühlt. Mitglied einer Religionsgemeinschaft, das ist, sagt Emanuel Goldfarb, verschwurbeltes Gequatsche. Er ist Jude, basta.
Aber lädt man etwa einen Vertreter der Religionsgemeinschaft Katholiken oder Protestanten ein, um Schülern Rede und Antwort zu stehen? Juden aber, sagt Emanuel Goldfarb sind wie die aussterbenden Spitzmaulnashörner ein Fall für Tierschützer. Die guckt man sich im Zoo an, Juden lädt man in den Unterricht ein. Und weil Emanuel nicht der lebende Beweis dafür sein, dass es nach der Shoa irgendwie weitergeht, wird er, verdammt noch mal, der Einladung nicht nachkommen.
So weit, so schlecht. Und damit fängt das Dilemma des Juden Emanuel Goldfarb an. Er will nicht mehr als ein ganz gewöhnlicher Jude sein und – schlimmer noch – ein ganz gewöhnlicher Deutscher. Aber man lässt ihn nicht. Die einen, die Antisemiten, würgen ihn, die anderen, die Philosemiten, umarmen ihn. Beides nimmt ihm die Luft.
Siebzig Minuten kämpft sich auf der Bühne des Polnischen Theaters, eingezwängt zwischen Schreibmaschine, Sofa und wie eine Barriere aufgestellten, an KZ-Sammlungen gemahnenden alten Koffern (Bühne und Regie: Tadeusz Galia), ein Schauspieler durch Geschichte und Gegenwart der Juden in Deutschland. Astrit Geci ist in Charles Lewinskys Monodrama „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ dieser Emanuel Goldfarb, der ein ganz normaler Jude nicht sein kann, nicht sein darf, nicht sein will? In dem emotionalen Bermudadreieck mit den Eckpunkten Wut, Verzweiflung und Selbsthass, droht er unterzugehen. Aber Astrit Geci tut es nicht mit Wimmern sondern mit einem Knall. Mit ihm steht, wie er in seinem gefängnisartigen Zimmer auf- und ab tigert, sich in sein Sofa fallen lässt, nach Worten für seinen Seelenzustand ringt, wie er tobt, schreit, schneidend zynische Kommentare abgibt, ein Kerl auf der Bühne, so angriffslustig und beeindruckend wie ein angeschossener Büffel und doch so Mitleid erregend wie ein verhungertes Kätzchen. Astrit Gecis Emanuel Goldfarb mag die Fassung verlieren, seine Würde behält er in der tiefsten Verzweiflung.
Infos und Termine: www.polnisches-theater-kiel.de
Schreibe einen Kommentar