Mit der Ausstellung „Universum Picasso: Die Suite Vollard“ zeigt die Kieler Kunsthalle den Künstler auf der Höhe seiner Schaffenskraft

Von Hannes Hansen

Ruhender Bildhauer 1
Copyright für alle Bilder: Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Kiel. Es sind 100 Grafiken, größten Teils Radierungen, aber auch Aquatinta- und Kaltnadelarbeiten, die Pablo Picasso, der sich ab etwa 1930 mit geradezu herrscherlicher Geste nur noch „Picasso“ nannte und damit jene Marke kreierte, die er zwischen 1930 und 1937 auf Anregung des Kunsthändlers Ambroise Vollard schuf. Dreihundert Exemplare der Suite ließen der Künstler und sein Galerist drucken, doch die Zeitläufte – zuerst der Unfalltod Vollards im Jahre 1939, dann der zweite Weltkrieg und die Besetzung Frankreichs, schließlich die Wirren der frühen Nachkriegsjahre und der Verkauf einzelner Blätter – sorgten dafür, dass nur noch wenige vollständige Exemplare der Suite erhalten sind. Eines von ihnen ist im Besitz des Kunstmuseums Picasso in Münster, und dieses Exemplar zeigt bis zum 30.Juni mit freundlicher Unterstützung durch die Provinzial Nord Brandkasse die Kunsthalle Kiel unter dem Titel „Das Universum Picasso: Die Suite Vollard“.

Mann eine Frau enthüllend

Annette Weisner, die Kuratorin der Ausstellung, weist zu Recht daraufhin, dass die Suite Vollard ein Schlüsselwerk zum Verständnis von Picassos Œuvre ist, fasst es doch wie unter einem Brennglas all die bis dahin entwickelten Varianten seines Individualstils ebenso zusammen wie seine Selbstvergewisserung als Künstler, Mensch und vor allem als Liebender.

Sitzender Weiblicher Akt

Auf den einhundert Blättern der Suite zeigt sich Picasso auf der Höhe seiner Schaffens- und Gestaltungskraft. Souverän verbindet er seine künstlerischen Mittel als neoklassizistischer Anhänger der Linienkunst etwa eines John Flaxman oder – mutatis mutandis, was das Verhältnis von Zeichnung und Malerei betrifft – eines Ingres in ganz eigener Manier mit Abstraktion, Nachklängen seiner eigenen Blauen Periode oder des Kubismus und der dissoziativen Auflösung des Körpers.

Faun eine Frau enthüllend

Thematisch kreist die überwiegende Anzahl der Blätter immer wieder um das Verhältnis des Künstlers zu seinem Modell – in diesen Jahren die junge Geliebte Marie Thérèse Walter -, zu antiker Skulptur und den eigenen Platz in der Kunstgeschichte. Picasso selbst erscheint dabei in steter Verwandlung als zeusähnlicher Künstlergott, als wiedergeborener Großer der Kunstgeschichte wie etwa Rembrandt oder, ganz besonders wichtig und eindrücklich, als Minotaurus. Das mythische Mischwesen aus Stier und Mensch war für Picasso die gültige Metapher für seine Existenz als Mensch und Künstler. Triebhaftigkeit auf der einen Seite und die daraus entstehende kreative Kraft waren die Antriebskräfte, die er im Minotaurus verkörpert sah. Frauen waren in diesem pulsierenden, energetisch hoch aufgeladenen Universum nach Picassos eigenen Worten entweder

Göttinnen oder Fußabtreter. Und so beugt sich dann auf vielen Blättern der Suite Vollard der Künstler als Mensch oder Minotaurus entweder liebkosend oder in Vergewaltigungsabsicht über das Modell und wechseln sich idyllisch-arkadische Szenen mit denen roher Gewalt ab.

Dass Picasso sich der Brüchigkeit und Vorläufigkeit solcher sexuellen Phantasie durchaus bewusst war, zeigen andere Blätter. Auf einem gibt die Frau dem Stiermenschen in der Arena den Todesstoß mit dem Dolch in den Nacken, auf drei weiteren führt ein Mädchen – unschwer als Picassos Geliebte zu erkennen – den erblindeten, hilflosen, aber in seiner animalischen Kraft immer noch beeindruckenden Minotaurus an der Hand. Honi soit qui mal y pense, aber als einen Feministen avant la lettre dürfen wir uns Picasso trotz solcher Blätter wohl nicht vorstellen.

Blinder Minotaurus

Einige weitere grafische Arbeiten Picassos aus späteren Jahren, die seine zunehmende Hinwendung zu einer geradezu archaisch grundierten Abstraktion belegen, sind auf der Galerie der Kunsthalle zu sehen. Blätter zu den Metamorphosen Ovids und zu Balzacs „Das unbekannte Meisterwerk“ und zu Henri-Georges Clouzots preisgekrönter Dokumentarfilm „Le mystère Picasso“ aus dem Jahr 1955 ergänzen die Ausstellung.

 

Kunsthalle Kiel: „Universum Picasso: Die Suite Vollard, bis 30.6., Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 20 Uhr. Führungen: Mittwoch 18 Uhr, Sonntag 11.30 Uhr und 16 Uhr.