Daniel Karasek inszeniert Shakespeares „Hamlet” am Kieler Schauspielhaus
Von Hannes Hansen
Kiel. Der bekannte Wiener Theaterkritiker Alfred Polgar schrieb einmal nach einer Premiere: „Als ich um halb zehn auf die Uhr schaute, war es halb neun.“ Nun, mir ging es am Freitagabend im Kieler Schauspielhaus genau umgekehrt. Als ich um halb elf auf die Uhr schaute, war es halb zwölf.

Maximilian Herzogenrath, Zacharias Preen, Christian Kämpfer, Jennifer Böhm, Marko Gebbert, Agnes Richter
Daniel Karaseks Inszenierung des „Hamlet“ macht Tempo ohne Kurzatmigkeit und sorgt für eine Art geordneten Wirbel in einem Stück, das ja vor allem in den letzten beiden Akten nicht ganz frei von klamottigen Screwball-Elementen ist. Damit dieses Spiel sich frei entfalten kann, hat Claudia Spielmann eine weitgehend kahle Bühne mit wenigen Tischen und Stühlen entworfen. Eine Reihe gestaffelter verschiebbarer Kulissen gestattet versteckte Auf- und Abgänge und die Präsenz der von Shakespeare und seinen Zeitgenossen so geliebten geheimen Lauscher.
Auf dieser Bühne zeigt sich Marko Gebberts Hamlet als gefesselter Prometheus. Er möchte so gerne handeln, aber bis zuletzt, bis zur Katastrophe kann er es nicht. Dieser Hamlet ist kein Schwächling, eher ein Berserker, doch eine letztlich unerklärliche Melancholie lässt ihn immer wieder zaudern. Spielt er nur den Verrückten, um seine Umwelt zu täuschen, oder ist er vielleicht doch verrückt? Jedenfalls etwas oder manchmal? Marko Gebberts Spiel changiert gekonnt zwischen den Polen und wechselt zwischen Klarheit und Ungewissheit. Ein sensibler Kraftprotz, dessen psychische wie physische Energie sich eruptiv entlädt, wenn sie die Fesseln der Entschlusslosigkeit sprengt.
Es ist die Stärke der Inszenierung und von Marko Gebberts Spiel, dass sie die Handlung in die Moderne übertragen und uns deutlich machen: tua res agitur, dabei aber dem Stück jenes Stück Fremdheit belassen, das wie ein Urgestein in unsere Gegenwart ragt.
Die Fremdheit gilt auch für Jennifer Böhms Ophelia, die in einer Hosenrolle auch Hamlets getreuen Freund Horatio gibt. Doch bei ihr hat sie andere Gründe. Sie bibbert und zagt, windet sich und schreit. Ein armes Hascherl und ein mit manchmal gar zu outriertem Spiel nach Aufmerksamkeit haschendes Mädchen.
Zacharias Preen ist als Königsmörder ein farbloser Apparatschik, ein Fädenzieher ohne Charisma, der kaum einmal Gefühle zeigt, und wenn doch, wie bei seinem Reuegebet, unglaubwürdig bleibt. Dass soll wohl so sein und ist für die in einer kalten Technokratenwelt angesiedelte Inszenierung wohl auch keine ganz falsche Lösung. Trotzdem, einige individuellere Züge würde man sich wünschen.
Blass bleibt auch über weite Strecken Agnes Richters Königin Gertrud, eine Marionette an der Seite Claudius’, der man nicht einmal die von Hamlet vermutete unsittliche Geilheit abnimmt. Nur ein einziges Mal, als sie von Hamlet mit dem Mord an seinem Vater, ihrem Gatten, konfrontiert wird, findet sie zu sich und ihren Emotionen.
Christian Kämpfer – in einer Doppelrolle auch ein clownesker Totengräber – ist der devote Diener seines Herren, ein geschwätziger Bürokrat und Speichellecker und in seinem Streben zu gefallen manchmal von umwerfender Komik.
Nach seinem Vorbild sind auch Maximilian Herzogenrath und Tony Marossek als Rosenkranz und Güldenstern subalterne Angestellte und willfährige Lakaien, die ohne zu zögern bereit sind, ihren Freund Hamlet der Machtgier seines Onkels und ihrem eigenen Fortkommen zu opfern.
Für die im Ganzen gelungene Inszenierung sorgt auch Daniel Karaseks und Kerstin Daibers Neuübersetzung des Stücks. Sie bewahrt sowohl die gröberen Textelemente – Shakespeare musste halt auch seine „Groundlings“ bei Laune halten, den Londoner Straßenpöbel – als auch die Poesie, den die feinen Herrschaften des Hofs erwarteten. Eine Poesie, die in Daniel Karaseks und Kerstin Daibers Übersetzung in ein heutiges Deutsch weitgehend erhalten geblieben ist. Auch den Shakespeareschen Blankvers und die vom elisabethanischen Publikum geforderten Puns, die Wortwitze, retten sie in ihre moderne Sprache herüber. Man mag im einzelnen darüber streiten, ob Ausdrücke wie „am Ball bleiben“ oder „manipulativ“ sich nicht allzu sehr einem kurzlebigen Jargon annähern, der morgen schon wieder vergessen ist, doch bleibt auch hier ein Hauch Fremdheit erhalten. Eine Fremdheit, die der vordergründigen Modernität des Textes und der durchaus heutigen Probleme, von denen er handelt, den historischen Tiefenbezug gibt.
Infos und Termine: www.theater-kiel.de
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