„Hammer“: Liederabend-Spezialist Franz Wittenbrink entwickelt mit dem Kieler Schauspiel-Ensemble einen bunten Abend

Von Christoph Munk

Kiel. Der Heimwerkermarkt – das ist des Bürgers Heimatland. Selbermachen ohne fachliche Ahnung. Da kann jeder seinem Sparzwang folgen und gleichzeitig das männliche Ego bedienen. Dieser Spur folgt „Hammer“, der neue Liederabend des Genre-Spezialisten Franz Wittenbrink im Kieler Schauspielhaus. Unter seiner Regie und getreu dem Do It Yorself-Motto durfte sich das Ensemble singend, spielend, improvisierend einbringen und entwickelte etwa während der Probenarbeit eigene Dialoge – mit spürbarer Lust an Theaterhandwerkerei und zum sichtlichen Vergnügen des applausfreudigen Publikums nach der Uraufführung.

Ziel erreicht, ne Spüle gekauft: Szene mit Yvonne Ruprecht und Zacharias Preen (vorn). (Foto Olaf Struck)

Einmal gewährt Franz Wittenbrink einen Einblick in seine Trickkiste, aus der er in vielen seiner besseren Programmen oft Überraschungen zaubern kann: Dann reißt er stets gekonnt Widersprüche zwischen den Figuren und ihrem Gesang auf und lässt urplötzlich Stimmungen kippen. Einer dieser großen Momente ereignet sich am Rande des Finales: Ringo, der frustrierte Familienmacho, sackt mit der (ursprünglichen von Gilbert Bécaud stammenden) Elvis-Schnulze „What Now My Love?“ ins Bühnenkoma. Zaghaft aus dem Hintergrund stimmt darauf die Gemeinde im Volkston einen verräterischen Trostgesang an: „Wir sitzen so fröhlich beisammen …“. Da tun sich Abgründe auf, vor allem wenn man weiß, dass dieser Kotzebue-Text zwar in den Befreiungskriegen des 19. Jahrhunderts als Lied populär war, aber auf YouTube schnell entdeckt, dass es heute die Identitäre Bewegung für sich reklamiert.

Eins von Wittenbrinks Meisterstücken – eine Rarität im „Hammer“-Sortiment. Denn der Rest besteht weitgehend aus stimmig zusammengefügter Handwerkerei: Das sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Im hübsch arrangierten Baumarkt (Bühne: Miriam Busch) gehen die Schauspieler, funktionsgerecht gekleidet (Kostüme Nini von Selzam) ihren rollengemäßen Beschäftigungen nach – immer ein angemessenes Liedchen auf den Lippen, von „Workin’ In The Coalmine“ über „Don’t Let Me Be Missunderstood“ und „You Are So Beautiful“ bis zu „Lady Marmalade“. Mal sitzen Text und Melodie; mal sind sie passend umgedichtet; mal wackelt’s ein bisschen; selten gibt’s zu viel Luft. Und zur  Pianobegleitung von Axel Riemann überwinden die singenden Schauspieler zuweilen den Selfmade-Modus.

Wenn der Nachbar allzu hilfsbereit wird: Szene mit Jennifer Böhm (Links), Yvonne Ruprecht und Marko Gebbert. (Foto Olaf Struck)

Alle sind fleißig dabei, jeder tut, was er kann. So geben Yvonne Ruprecht (Sabine) und Zacharias Preen (Ringo) ein mit Basis-Entrüstung gewappnetes Ehepaar auf der Suche nach einer neuen Spüle. Jennifer Böhm plaudert und zwitschert als Power-Propagandistin. Marko Gebbert geht in seiner Lieblingsrolle als Turbo-Verkäufer auf, fähig, selbst einem verschüchterten Kleinkunden (Rudi Hinderburg) den größten Kärcher an die Backe zu schwatzen. Tony Marossek hantiert als linkischer Lehrling, Anne Rohde herrscht als messerscharfe Chefin. Almuth Schmidt geistert durch die Gänge, bis sie ihre Utensilien für ein spätes Domina-Glück zusammen hat. Ein Bär aber holt sich zielsicher sein Polarweiß, denn er hat nur einen Wunsch: „Ich möchte ein Eisbär sein“. Und als Ehepaar Ringo und Sabine endlich auf die Melodie des „Grease“-Fetzers „You Are The One That I Want“ vermeldet „Wir ham ne Spüle gekauft“ witzelt sich der Spaß in die Pause.

Danach wird’s ernster: Im Eigenheim entpuppt sich die Spüle als Pannen-Objekt, und unter Hämmern und Schrauben und Bohren geht auch die Ehe zu Bruch. Nun muss nicht mehr so viel gequatscht werden, denn die Klebekraft der Lieder nimmt zu und hält die Chose zusammen. So wächst sich harmlose Alberei zum mittleren Familiendrama aus. Und die Do It Your Self-Ideologie schlägt zurück: Wer alles selber macht, dem kann nicht geholfen werden. Doch philosophisch allzu tiefsinnig wird’s nicht, denn die Bedürfnisse nach amüsanter Unterhaltung werden an diesem Abend niemals unterlaufen. Und einer aus dem animierten Publikum schickt den Kulturblogger mit eindeutiger Mission nach Hause: „Da erwarte ich einen netten Kommentar“. Gesagt, getan.

Termine und Info: www.theater-kiel.de