„sommeroperKIEL“: Giuseppe Verdis Spätwerk „Aida“ als tolles Betriebsfest der Firma Karasek“

Von Christoph Munk

Kiel. „Moin Aida!“ – das Werbebanner am Zaun bringt es auf den Punkt: Auf dem  Rathausplatz wird unter dem Label „sommertheaterKIEL“ eine Verdi-Oper salopp vermarktet und solide ausgeführt. Da weiß man was man kriegt: die populäre  Geschichte von einer tragischen Liebe im Schatten des Krieges, erzählt in bunten Bildern und aufwendigen Aktionen, unter massivem Personaleinsatz einschließlich erstklassiger Solisten und unterfüttert mit süffiger, wohlig schwelgender oder dramatisch ausbrechender Musik. Kann man von einem Open Air Event mehr erwarten? Ok. Mit Glück eine serienlange Gut-Wetter-Garantie.

Der Schauplatz war perfekt vorbereitet: Fußböden, Treppen, Podeste und Wände aus Steinimitat, penibel geputzt; zwei Fensterreiniger wischen die letzten Schlieren von der gläsernen Fassade in Form eines Dreiecks – Anspielung auf das alte Ägypten, logisch. Mehr noch: Bühnenarchitekt Lars Peter realisiert im Auftrag des Regie führenden Generalintendanten Daniel Karasek ein streng geometrisches Raumkonzept, ausgerichtet auf Zentralperspektive  und Symmetrie. Das wird sich als zweckmäßig erweisen für die kommenden Aktivitäten.

Das Ballett im Dienste der guten Laune beim „Aida“-Fest. (Fotos Olaf Struck

Noch herrscht gespannte Ruhe im etwas bombastischen und leer gefegten Eingangsbereich. Die Herrschaften kommen aus Etage 20, wie die Anzeige über den beiden seitlichen Lifttüren verrät. Das Geschehen aber siedelt der Regisseur im Erdgeschoss an. Zunächst warnt Oberpriester Ramfis vor nahender Kriegsgefahr. Und ein von den Göttern benannter Feldherr soll das ägyptische Heer gegen Eindringlinge aus Äthiopien führen – voraussichtlich der stramme, junge Radames. Der jedoch ist unsterblich in die gefangene Sklavin Aida aus dem Lager der Feinde verliebt. Im Gegenzug wird er von der heimischen Königstochter Amneris begehrt. Klassisches Dreiecksverhältnis. Das führt zu intimen Liebesgeständnissen, aber eben vor allem zu emotionalen Konflikten: Eifersucht, Rivalität, Verzweiflung, Hass – alles vom Feinsten und mit tödlichem Ende.

In Sachen Kriegsführung geht alles ganz schnell: Radames kehrt bald als Sieger heim und wird prompt und pompös gefeiert. Und zu seiner Begrüßung bietet die Regie alles auf, was sie hat. Und spätestens jetzt schleicht sich die Vermutung ein, hier werde ein schlüssiges Konzept vollzogen: Die gesamte Veranstaltung sei ein gigantisches Betriebsfest der Firma Karasek, bei dem alle Mitarbeiter zur Realisierung der Oper „Aida“ aufgerufen sind. Denn das Spiel auf der Bühne wirkt seltsam ausgestellt und demonstrativ vorgetragen, ganz unter der Devise „Jeder kann mitmachen“: fein ausstaffierte Aufsichtsräte als König und Prinzessin, der Manager und sein Gefolge als Priester, der designierte Juniorchef als Feldherr Radames, die Betriebswehr, die Tanzgarde, die Kindergruppe, die einfachen Beschäftigten als Volk. Alle finden gemäß ihren Talenten in ihre Rollen. Und sind im Kollektiv für die zugeordneten Aufgaben gut vorbereitet: von Chorleiter Lam Tran Dinh und den Choreografen Yaroslav Ivanenko und Yuka Higuchi.

Die Eine liebt, der Andere nicht: Cristina Melis und Song Kyu Park.

Das Fest funktioniert fabelhaft als ausgelassene, bunte Unterhaltungsshow, weil Claudia Spielmann als Chefin der Kleiderkammer mit krasser Phantasie alles herausgibt, was zur Motto-Party „Ägypten“ nur irgendwie passt: von der Uniform eines Operetten-Generals bis zu Aidas schlichtem Sklavengewand in Guantanamo-Orange, vom zweifelhaften Unschuldsweiß der Priester bis zum dumpfen Blau und Braun der niederen Leute. Alles geht, denn die Kostümbildnerin ignoriert Stile und Epochen – Krieg und Liebe ereignen sich zu allen Zeiten. Regisseur Daniel Karasek hantiert ähnlich freigiebig mit Ausstattungselementen, mit Symbolen und Göttermasken, lässt einfach die Spiellust raus, als gelte es den Sieg in der Champions League zu feiern – Auftritt des Helden im goldglänzenden Daimler, jubelnde Massen, Konfettiregen und Pyroeffekte eingeschlossen. Doch der übereifrige Showmaster kriegt sich wieder ein: Nach der Pause verdichtet er die Handlung, zum Beispiel im Nil-Akt und im Finale, zu eindrucksvollen, stillen Momenten.

Da rettet sich das Saloppe ins Solide. Dazu profitiert das große Spektakel „sommertheaterKIEL“ von den musikalischen Qualitäten, die Kiels neuer Generalmusikdirektor Benjamin Reiners garantiert. Nebenan im Zelt arbeiten die Kieler Philharmoniker konzentriert und hoch präzis an der Partitur und schicken, soweit es die sensible Tontechnik erlaubt, Verdis schönste Klangfarben auf die Lautsprecher-Türme. Reiners vermittelt souverän den Reichtum an schwelgenden Melodien und dramatischen Ausbrüchen, die differenzierte Dynamik und die fein abgestuften harmonischen Feinheiten. Wer penibel hinhört, mag stellenweise ein etwas flaches, zuweilen leicht blechernes Tonbild bedauern. Und bei allem Respekt: Der Gesang wirkt eher wie von fern begleitet als ins Spiel des Orchesters eingebettet. Originalklang bleibt unter diesen akustischen Verhältnissen Illusion.

Rivalinnen um die Gunst des Helden Radames: Aida (Veronika Dzhioeva) und Amneris (Cristina Melis, rechts).

Ungeachtet dessen stehen die Solisten für Solidität und verdienen allerhöchste Anerkennung. Veronika Dzhioeva gibt der Titelpartie tadellosen Glanz und anrührende Innigkeit. Und Sung Kyu Park erweist sich wiederum als stabiler Garant der schönsten Qualitäten im Fach des Heldentenors. Cristina Melis als Amneris setzt sich mit zupackender Mezzo-Klarheit durch.

Im tiefen Männerfach offenbart Thorsten Grümbel als Ramfis sein forderndes, aber äußerst kultiviertes Bass-Timbre; Matteo Maria Ferrettis König strahlt stimmkräftige Gelassenheit aus, während Stefano Meo einen charakterstarken, durchsetzungsfähigen Amonastro gibt. Fred Hoffmann als Bote und Elisabeth Raßbach-Külz als Tempelsängerin fügen sich nahtlos in die herausragende Solisten-Riege.

Irgendwann geht auch das schönste Betriebsfest zu Ende. Diesmal still und traurig, weil es die Handlung so will. Dennoch: Die Firma Karasek darf auf den Verlauf der Veranstaltung stolz sein, weil sie sich – von gelegentlichen Ausschweifungen und Absacker in Klamauk und Kokolores abgesehen – immer auf respektablem Niveau gehalten hat. Dazu: Ein Feuerwerk nach jubelndem Schlussapplaus scheint inzwischen unvermeidlich. Das scheint Karasek mit der „sommeroperKIEL“ liefern zu müssen. Schließlich möchte er unter freiem Himmel alles richtig machen.

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