Mit der Ausstellung von „Angesicht zu Angesicht“ zeigt die Kunsthalle Kiel Werke von Lotte Laserstein

Von Hannes Hansen

Kiel. Sie wirken ernst, ja bedrückt, die Frauen und Männer, die rund um einen Tisch auf dem Balkon eines Hauses in Potsdam versammelt sind. Kein Blick fällt auf das grandiose Panorama der Stadt, die hinter ihnen wie ein Menetekel unter einem schweren Himmel im Abendlicht liegt, auf Schinkels Nikolai-, auf die Heilig-Geist-Kirche. Es ist als ahnten die Abendgesellschaft das kommende Unheil.

Das Gemälde „Abend über Potsdam“ gilt als ein Hauptwerk der Malerin Lotte Laserstein und ist zur Zeit in der von der Kunsthistorikerin Regina Göckede kuratierten Ausstellung „Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht“ in der Kieler Kunsthalle zu sehen. Die 1898 geborene Künstlerin malte das ikonische Bild im Jahre 1930, drei Jahre vor der „Machtübernahme“ der Nazis und sieben Jahre vor ihrer aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erzwungenen Emigration nach Schweden.

„Selbstporträt mit Katze“. Copyright s.u. 1

Lotte Laserstein, Tochter einer zum Christentum konvertierten jüdischen bürgerlichen Familie, studierte ab 1919 als eine der ersten Frauen in Deutschland Malerei an der Berliner Akademischen Hochschule für die Bildenden Künste. Mit ihren Gruppen-, ihren Selbst- und Einzelporträts (vorzugsweise von ihrer Freundin Traute Rose) wurde sie schnell bekannt als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit. Ihre tonige, meist in gedeckten Farben gehaltenen Malerei wirkt wie eine Übersetzung des Realismus des neunzehnten Jahrhunderts – etwa der Kunst Courbets oder des jungen Liebermann – in die Moderne. Doch wirken ihre Porträts, insbesondere die zahlreichen Akte, die allesamt den lüsternen Blick ihrer Vorgänger auf den weiblichen Körper vermeiden, psychologisch fundierter und sachlicher, ja distanzierter.

„In meinem Atelier“. Privatbesitz. Foto: Lotte-Laserstein-Archiv, Krausse, Berlin, VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Geradezu emblematisch ist ein Bild, auf dem sie sich selbst bei der Arbeit an einem liegenden Akt in der langen Traditionslinie von Tizian über Velazquez, Ingres, Goya bis Manet zeigt. So entstehen Bilder von selbstbewussten Frauen jenseits aller neckisch verbrämten, erotisch konnotierten Weiblichkeit.

„Ich und mein Modell“, 1929/30
The Bute Collection at Mount Stuart
Foto Städel Musem © VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Mit dem Exil beginnt Lotte Lasersteins Jahrzehnte andauerndes Verschwinden aus der Kunstgeschichte und der öffentlichen Wahrnehmung. Im Jahre 1985 zeigt bezeichnender Weise die Londoner Ausstellung „German Painting in the Twentieth“ Century wieder Werke Lotte Lasersteins. Endlich im Jahre 2003 widmet das Berliner „Verborgene Museum“, das sich der Kunst scheinbar vergessener Künstlerinnen annimmt, Lotte Laserstein eine repräsentative Schau im Ephraim Palais. Im vorigen Jahr dann holt eine Ausstellung im Frankfurter Städel die Malerin zurück ins öffentliche Bewusstsein.

„Abendunterhaltung“, 1938
Foto: Marco Ehrhardt

Die in Kooperation mit dem Städel entstandene Kieler Schau schließlich würdigt wie die vorhergehenden das Werk einer zu Unrecht lange Zeit vergessenen Künstlerin. Sie zeigt vorwiegend Arbeiten aus der Berliner Zeit Lotte Lasersteins und nur wenige bis zu ihrem Tod 1993 in Schweden entstandene Bilder. Dort macht sie sich einen Namen als Porträtistin von Mitgliedern der gehobenen Gesellschaft. Ihre Malweise wird flüchtiger und erreicht nur noch selten die künstlerische Höhe ihrer früheren Bilder. Eine Ausnahme macht die „Abendunterhaltung“ aus dem Jahr 1938. Das Gruppenporträt  zeigt ohne jegliche expressionistische Aufgeregtheit die Folgen der Flucht. Die Gruppe wirkt wie eingesperrt in dem in dunklen Farben gehaltenen Raum, wie ratlos in ihrer Isolation.

Kunsthalle Kiel, „Lotte Laserstein“. Von Angesicht zu Angesicht“. Dauer: 21.9.2019 – 19.1.2020. Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 20 Uhr. Katalog 39,90 €.  Umfangreiches Begleitprogramm.

1 „Selbstporträt mit Katze“. New Walk Museum and Art Gallery, Leicester, Reproduced courtesy of Leicester Arts and Museum Services /Bridgeman. Copyright VG Bild-Kunst, Bonn 2019