Im pulsierenden Gershwin-Sound: „Ein Amerikaner in Paris“ auf der Kieler Opern-Bühne
Von Christoph Munk
Kiel. „Ein Amerikaner in Paris“: Einen langen Weg hat er zurückgelegt, ehe er bühnenreif wurde. 1928 in einem einem sinfonischen Konzertstück von George Gershwin erdacht, wurde er zum Titelhelden eines Hollywood-Musicalfilms von Vincente Minelli, gewann 1952 acht Oscars ehe er über 60 Jahre in der Kino-Klassiker-Nische schlummerte. Denn erst 2014 feierte er eine Wiedererweckung – auf der Musical Bühne in Paris, eroberte zügig den Broadway und erlebte seine deutschsprachige Erstaufführung vor knapp einem Jahr in Linz. Und nun findet der singende und tanzende Ex-GI und hoffnungsvolle Maler direkt in die Herzen des Kieler Publikums – dank einer zündenden Inszenierung von Ricarda Regina Ludigkeit und dem begeisternden Dirigat von Daniel Carlberg.
Der Maler, die Tänzerin und die Metropole der Liebe im Mittelpunkt, dazu ein Komponist und ein Sänger – fertig ist die Bohème an der Seine. Doch da ein paar vermögende Gönner mit von der Partie sind, endet die Liebesgeschichte zwischen Jerry und Lise nach etlichen Verwicklungen in schönstem Wohlgefallen. Und da die Nachkriegstage vor allem in nostalgischen Fotos erscheinen und aus den zunächst schattigen Kostümfarben von Gabriele Heimann allmählich verschwinden, bleiben Hunger und Elend ausgespart. Die Stadt zeigt sich im Aufbruch, die Künstler im Schaffensdrang und die Menschen belebt von aufgekratzten Melodien und elektrisierten Rhythmen. Paris tanzt und singt im pulsierenden Gershwin-Sound.
Das romantische Fluidum hat Bühnenbildner Hans Kudlich mit ebenso einfachen wie effektiven Mitteln eingefangen: Vor wechselnden Rückprojektionen lässt er Wandelemente herabsinken, Mobiliar hereinrollen und die Drehbühne kreisen. Mit dem szenischen Karussell erscheinen in schwebender Leichtigkeit wie bei einem entspannten Spaziergang wechselnde Schauplätze: Café und Bar, die Bank am Fluss, Wohnungen, Ballettsaal, großzügiger Salon und endlich das leuchtende Tableau mit Showtreppe, auf der ein grandioses Finale zelebriert wird. Schon das allein schafft üppigen, kurzweiligen Augenschmaus.
Regisseurin Ricarda Regina Ludigkeit profitiert genussvoll vom Zauber dieser Räume. Denn hier kann sie mit lässiger Eleganz Szene auf Szene vorüber gleiten lassen, ohne den Atem zu verlieren. Sie versetzt ihre tadellos singenden Akteure in jene genretypische Attitüde des pointierten, aber dezenten Overactings, impft ihnen jene kleine Dosis geschärfter Übertreibung, die Tempo garantiert ohne Deutlichkeit zu riskieren. Nicht nur das Liebespaar Lise (Lynsey Reid) und Jerry (Peter Lesiak) wirkt anrührend belebt, sondern auch die Nebenfiguren erscheinen als markante Charaktere: Komponist Adam (Hermann Bedke), Sänger Henri (Sascha Stead) und die vermögende Milo (Léonie Thoms Salfeld).
Was wäre „Ein Amerikaner in Paris“, durch den einst Gene Kelly und Leslie Caron schier unsterblich wurden, ohne Ballett? In dieser hochartifiziellen Disziplin erweist sich erwartungsgemäß Ricarda Regina Ludigkeit als ausgefuchste Kapazität der Showeffekte. Mit Souveränität, Temperament und Originalität arrangiert sie sowohl die großen, aufregend wirbelnden Massenszenen des hochmotivierten Ensembles als auch die genau getimten, intim getanzten Einzelnummern. Glanzpunkte ohne Zweifel: die frei choreografierten Orchester-Stücke „Concerto in F“ und „An American in Paris“.
Daniel Carlberg beweist mit seinem Dirigat, dass er Gershwin kann. Mit seinem, durch etliche Instrumental-Fachkräfte verstärkten Philharmonisches Orchester erfüllt er alle Wünsche. Sinfonisch geprägte Spannung, dynamische Beweglichkeit, energische Jazz-Akzente beherrschen die hellwachen Musiker ebenso wie die einfühlsame Begleitung der heiklen, immer feinnervig untermalten Songs.
Man sollte sich nicht wundern: „Ein Amerikaner in Paris“ dürfte von der Rarität zum Renner aufsteigen. Doch man sollte nicht glauben, dies sei ein Leistungsbeweis des einheimischen Ensembles. Denn mit dieser Produktion hat ein hochqualifiziertes Team von Spezialisten – fast ausnahmslos eingekauften Gästen – alles richtig gemacht. Der Personal-Etat des Musiktheaters dürfte damit erheblich strapaziert sein, doch der Run auf die Tickets für 20 bisher geplante Aufführungen sollte es lohnen. Dem in stehenden Ovationen schwelgenden Kieler Publikum kann das im Zweifel schnuppe, es wird ihm lieb und teuer sein.
Info & Termine: www.theater-kiel.de
1. Oktober 2019 um 8:06
Da muss ich dann ja unbedingt hin! Danke!