Malte Kreutzfeldt inszeniert „Früchte des Zorns“ am Kieler Schauspiel
Von Hannes Hansen
Kiel. Kritik am Raubtierkapitalismus, ein apokalyptisches Armageddon, der Auszug der Kinder Israels aus Ägypten oder die Suche nach dem versprochenen Paradies? John Steinbecks „Früchte des Zorns“ ist, darüber sind sich die meisten Interpreten einig, wohl von allem etwas.
Der 1939 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Familie Joad, die, nach Missernten und verheerenden Sandstürmen verarmt, ihre Farm in Oklahoma aufgeben muß. Angelockt von skrupellosen Obstplantagenbesitzern, begibt sie sich auf eine lange Reise nach Kalifornien, auf eine Wanderung biblischen Ausmaßes entlang der legendären Route 66. Aber statt des versprochenen Paradieses erwartet sie eine neuzeitliche Hölle, Verdammnis statt Rettung. Und doch bleibt ein Rest Hoffnung. Nicht auf endzeitliche Erlösung, wie sie die Offenbarung des Johannes verspricht, sondern auf eine Änderung der Verhältnisse durch solidarisches Handeln.
„Früchte des Zorns“ ist ein Epos, eine Saga. Und genau hier beginnen die Probleme von Frank Galatis Bühnenversion des Romans und mit ihr Malte Kreutzfeldts Inszenierung des Stücks am Kieler Schauspiel: Wie macht man aus einer weit ausschweifenden Saga einen zündenden Theatertext, aus der Kontrafaktur eines biblischen Epos einen spannungsreichen Abend?
Autor Frank Galati versucht, das Problem zu lösen, indem er die Vorlage in eine Reihe nur lose verbundener Szenen auflöst, und Regisseur Malte Kreutzfeldt folgt ihm weitgehend und gestaltet sie als bewegte Bilder und Massenszenen, die bei Bedarf immer wieder zu gemäldeartigen Tableaus erstarren. Der Wechsel von Bewegung und bildnishafter Stille erscheint dabei mitunter ebenso wenig sinnfällig wie die technoide Bühne des Regisseurs aus über einhundert Leuchten und Stahlgittermasten.
Zum Ausgleich arbeitet die Regie stark mit biblischen Bezügen. Felix Zimmers Jim Casy ist ein ehemaliger Geistlicher, der zwar seinen Glauben verloren hat, doch nicht sein Sendungsbewusstsein. Ein Mann mit den Zügen eines neuzeitlichen Christus, der statt des Evangeliums die Brüderschaft der Menschen predigt. Ein meist still Leidender, der am Ende zu der flammenden Rhetorik eines missionarischen Eiferers findet. Nach seinem gewaltsamen Tod übernimmt Tom Joad seine Rolle als Christus und zugleich als Moses, der sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft führt. Marko Gebbert gibt ihn als eine Mischung aus naivem Hitzkopf, liebendem Familienmenschen und schlussendlich als Sozialrevolutionär.
Damit nicht genug der biblischen Bezüge. Eine orgiastische Tanzszene muss für eine reichlich gewollt wirkende Neuinterpretation des Tanzes um das Goldene Kalb herhalten, Isabel Baumerts verträumte Rose of Sharon erinnert schon mit ihrem Namen an das Hohe Lied, und schließlich ist auch der Titel des Stücks der Bürgerkriegshymne „Battle Hymn of the Republic“ („Mine eyes have seen the glory of the coming of the Lord“) entlehnt, die wiederum die Offenbarung des Johannes zitiert.
Der Mittelpunkt der allmählich sich auflösenden Familie in dieser zwischen Sozialdrama und biblischer Endzeitvision oszillierenden Inszenierung ist Mutter Joad, in Agnes Richters Interpretation der Rolle eine Frau zwischen schreiender Verzweiflung und stiller Kraft. Ein gebrochener Mensch ist Zacharias Preens starrköpfiger Großvater Joad, ein unreifer werdender Vater Tony Marosseks Conny Rivers, und Dominik Tippelt ein aufmüpfiger Teenager Al Joad. Claudia Macht ist zunächst eine sich der Demenz nähernde, dann still verdämmernde Großmutter Joad, und Ellen Dorn und Werner Klockow gottergebene Mitreisende. Sie alle gruppieren en sich um die beiden Kraftzentren Mutter Joad und Sohn Tom.
Das alles zeigt sich in der an die zweieinhalb Stunden dauernden Inszenierung bei aller Vielbezüglichkeit und religiöser Grundierung vor allem vor der Pause als zähe Theaterkost, der auch eine klamaukartige Autofahrtszene und die musikalischen Einlagen mit Songs von Bruce Springsteen, Bob Dylan und Co. nicht so recht Schwung verleihen. Sie mögen, wie Bruce Springsteens „The Goast of Tom Joad“ einen gewissen Bezug zum Bühnengeschehen haben. Der aber erschließt sich mangels ausreichender Verständlichkeit auf weite Strecken nicht dem geneigten Verständnis größerer Teile des Publikums, zu denen sich auch dieser Rezensent trotz eines Studiums der Amerikanistik zählt. Schade, denn Marko Gebbert als Sänger und Mehrfachinstrumentalist, Christian Kämpfer an Keyboards und Gitarre, Bassist Dominik Tippelt und schließlich Schlagzeuger Zacharias zeigen sich als durchaus hörenswerte Interpreten rockiger Folkmusic.
Info & Termine: www.theater-kiel.de
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