Jule Gröning inszeniert im Kieler Schauspiel-Studio David Mamets „Oleanna“

Von Christoph Munk

Kiel. Man braucht die aktuell aufgeladene #meetoo-Debatte nicht, um die Brisanz von David Mamets „Oleanna“ zu begreifen. Der schon 1992 uraufgeführte Bühnen-Dialog zwischen einem Professor und seiner Studentin funktioniert als Machtspiel auf akademischen Gelände – mit unerwartetem Ergebnis. Das führt die junge Regisseurin Jule Gröning mit einer konzentrierten Inszenierung im Studio des Kieler Schauspiels vor und sichert sich damit zustimmenden Premierenbeifall.

Wie sich die Machtpositionen von Professor und Studentin…

Das Publikum ist deutlich auf räumliche Distanz gebracht und sitzt wie auf einem Bobachtungsposten vor einer Versuchsanordnung. Denn Sandra Bröske hat den Bühnenraum wie als Präsentations-Tablett vorbereitet: kreisrunde, hell erleuchtete gläserne Spielfläche, keine Möbel, stattdessen nüchterne Sitz- und Ablageflächen. Darauf zwei Personen, die wie Prototypen auftreten: Hier John, der College-Lehrer, der die Arbeit einer Seminar-Teilnehmerin beurteilt und darum eine Machtposition behautet. Dort Carol, die zweifelnde Kandidatin, die nicht nur auf Verständnis hofft, sondern offensichtlich weder die Haltung des Professors noch das ganze Bildungssystem versteht.
Doch das Konstrukt wackelt bald, denn der ausgefuchste Dramatiker David Mamet bedient sich zwar vertrauter Muster, unterläuft sie aber gleichzeitig mit Raffinesse. Johns Position zeigt sich schnell geschwächt: Seine Berufung auf eine Lebenszeit-Professur ist längst noch nicht gesichert, und zudem erfährt er durch die permanenten Anrufe seiner Frau, dass der angestrebte Kauf eines Hauses auf dem Spiel steht. Carol hingegen gewinnt zusehends an Stärke: Sie reicht nach der Begegnung Beschwerde gegen ihren Lehrer bei der Berufungskommission ein und verschafft sich so die Rückendeckung des akademischen Apparates.

…neu ausrichten: Tiffany Köberich und Oliver E. Schönfeld. (Fotos Olaf Struck)

Allmählich also kippen die Machtverhältnisse aus dem vorgefassten Schema – entgegen gewissen realen Erfahrungen mit Abhängigkeiten im Lehrbetrieb, auf die auch das Programmheft hinweist. Der Professor wird, so lässt sich ahnen, zum Verlierer. Und Jule Grönings Inszenierung forciert diese Prognose, obwohl ihre Figurengestaltung grobe Typisierungen vermeidet. So lässt die Regisseurin Oliver E. Schönfeld einen weichen, fast gemütlichen Lehrer-Teddy spielen, dem nicht vorgeführte Härte, sondern eine zu nachgiebige und damit unklare Haltung zum Verhängnis wird. Dagegen kommt Tiffany Köberichs Carol taktisch klug nur allmählich aus der Deckung, sie bleibt lange rätselhaft und ihre sich steigende, am Ende schier gnadenlose Attacke kommt mit heftiger Überraschung.

Zunehmend gerät der ehrgeizige, aber ungeschickt taktierende Professor vom Kurs ab, während die Studentin selbstbewusst den Makel der Lernversagerin überwindet und entschlossen das Ruder übernimmt. Immer deutlicher wird das im Spiel der Kontrahenten am inszenierten Einsatz der Körpersprache sichtbar. In der ersten Phase erlaubt sich John einige zudringliche Gesten, die bei nüchterner Beobachtung tatsächlich als Übergriffe gewertet werden können und die ihn darum nachweislich angreifbar machen. Hingegen gönnt sich Carol immer häufiger Posen, mit denen sie ihren Herrschaftswillen und eine ihr rasch zuwachsende Überlegenheit demonstriert. Da ist das traditionelle Machtgefüge sichtbar demontiert.
Kein Unentschieden am Ende, Denn Jule Gröning führt das Duell entgegen der Ausgangspositionen zu einem von Kampfeslust belebten Siegeszug der Studentin gegen einen geschwächten Professor vor. Ihre auf eine gute Stunde Spielzeit reduzierte und darum unterhaltsame Inszenierung übertrifft Mamets Textvorlage an Deutlichkeit. „…einer muss  immer leiden“, bilanziert Carol am Ende. „Und manchmal leiden wir alle. Ist es nicht so? So ist es.“ Doch das Maß des Leidens wird in Jule Grönings Interpretation spürbar ungleich verteilt.

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