Mit Risiko zum Leerlauf: Olaf Strieb inszeniert im Kieler Opernhaus „Die Fledermaus“ von Johann Strauß

Von Christoph Munk

Kiel. Reinfeiern, Feiern, Rausfeiern. Nach so einem Dreiertakt ausgelassener Festivitäten lässt sich auch „Die Fledermaus“, die grandiose Operette von Johann Strauß, zelebrieren. Das kann dank musikalischer Opulenz und szenischem Glanz gelingen. Für das eine sorgt in der Kieler Neuproduktion Daniel Carlberg mit dem Philharmonischen Orchester und dem Opernchor, für das andere sind Regisseur Olaf Strieb und sein Ausstatter Heiko Mönnich zuständig, die mit ein paar Novitäten überraschten und doch dem überwiegenden Teil des Premierenpublikums jubelnden Applaus entlockten.

Man residiert im coolen Design: Eisenstein (Michael Müller-Kasztelan) und Dr. Falke (Christian Lange)(Foto Olaf Struck)

Daniel Carlberg, der Erste Kapellmeister, legt mit den Philharmonikern los wie die Feuerwehr. Die Ouvertüre klingt knisternd vor Spannung, rhythmisch federnd und elastisch im Schwung. Währenddessen kitzelt das Regieteam schon mal die Neugier der Zuschauer, denn mehrfach hebt sich der Vorhang und dahinter wird aus Versatzstücken und Mobiliar Stück für Stück das Szenenbild des ersten Aktes zusammengebaut. Da zeigt sich: Der Rentier Gabriel Eisenstein und seine Gattin  Rosalinde residieren in einem nüchtern, auf kühles Design gestylten Heim – lange steile Treppe nach oben, Sitzsäcke und Knautschsofa und als schickes Extra eine Türsprechanlage mit Bildschirm im Großformat.

Durch die Anlage klirrt zunächst der ungebetene, aber später höchst willkommene Tenor Alfred (quicklebendig: Yoonki Baek) – ein heimlicher Verehrer der Gnädigsten und nicht der einzige Falschspieler im Hause Eisenstein. Tricksen, Tarnen Täuschen – die Methode bewährt sich schon beim Reinfeiern zuhause, noch ganz privat. Man weiß es ja: Der Hausherr selbst (mit besonders sportivem Körpereinsatz und stimmlicher Flexibilität: Michael Müller–Kasztelan) wird nicht ins Gefängnis einfahren, sondern als Monsieur Renard zum vielversprechenden Souper bei Prinz Orlofsky schlendern. Die Kammerzofe Adele (mit keckem Charme und glockenheller Stimme: Hye Jung Lee) wird nicht die kranke Tante besuchen, sondern sich als angehende Künstlerin beim bevorstehenden Fest einschmuggeln. Und Madame Rosalind (grazil verspielt und später mit großer Geste: Agniezska Hauzer) wird als Verlassene mit dem Verflossenen anbändeln, um dann als Party-Gast in Gestalt einer ungarischen Gräfin aufzutrumpfen.

Prinz Orlofsky (Heike Wittlieb) empfängt Eisenstein (li.) und Dr. Falke (Foto Olaf Struck)

Zur Schnellpolka „Unter Donner und Blitz“ wechselt die ganze Bagage in die Prinzen-Villa. Und der Schauplatz verwandelt sich vom pikfeinen Neureichen-Heim in einen eher kahlen Mehrzweckbau. Gastgeber*in Orlofsky (transgendermäßig kostümiert und animiert, aber in den Stimmfarben wenig oszillierend: Heike Wittlieb) scheint eine 80er-Jahre-Motto-Party angeordnet zu haben und löst damit just jene im Begrüßungs-Couplet verbote Laune aus: Lustlosigkeit. Man ödet sich an. Verwechslung hin, Enttarnung her – die Chose zieht sich.

 Mag auch Notar Dr. Falke (mit geschmeidiger Noblesse: Christian Lange) noch so energisch sie Fäden straffen, die Zeit schleppt sich. Mögen Daniel Carlberg und das Orchester das Geschehen noch so präzis und schwelgend vorantreibe, der Ablauf stockt. Bis die hellwachen Musikanten und der in Sachen Gesang von Lam Tran Dinh fein vorbereitete Chor seine Majestät den Champagner hochleben und ins verschmuste „Brüderlein  und Schwesterlein“ einstimmen, vergehen zäh die Stunden. Olaf Strieb riskiert Leerlauf: Doch wer auf der Bühne Langeweile mimen lässt, läuft Gefahr, dass sich die Stimmung über die Rampe schleicht.

Ende der Feier. Der Morgen danach: Gefängnisbeton und Kater im Kopf. Abhilfe schafft  mit etwas nassforschem, statt gänzlich trockenem Witz der Humorist John Wesley Zielmann als Frosch, trefflich flankiert von Gefängnisdirektor Frank (in seiner Lieblingsrolle als Komiker: Jörg Sabrowski). Adele und ihre Schwester Ida (putzmunter: Hélène Rauch-Kosikidis) erscheinen aufgekratzt, Advokat Dr. Blind (zuverlässig Fred Hoffman) hat seinen konfusen Auftritt und schließlich erscheint das gesamte Party-Volk bereit zu fälligen Knotenlösung und allseitiger Versöhnung. Rausfeiern mit finalem  Champagner-Jubel. Jetzt erst, am Ende seiner „Fledermaus“-Inszenierung, löst Olaf Strieb  jenes Versprechen ein, das er mit einem fulminanten ersten Akt gegeben hatte:  Eleganz, Ironie  und den Zauber einer neuen Perspektive.

Info und Termine: www.theater-kiel.de