Helmut Schulzeck drehte einen Video-Clip im durch Corona menschenleeren Kiel

Von Helmut Schulzeck

Kiel. Eigentlich sollte ich doch mal die leeren Straßen Kiels filmen, dachte ich an einem späten Donnerstagmorgen, Ende März 2020. Denn so entvölkert wie zu Corona-Zeiten sieht man tagsüber die Kieler Innenstadt sonst nie. Gesagt, getan, zog ich mit meinem chinesischen Smartphone Xiaomi Mi9 (erstanden bei Gearbest, dem Online-Händler aus Shenzen) los von meiner Wohnung, die nur Minuten vom Hauptbahnhof entfernt liegt. Am Sophienblatt Ecke Herzog-Friedrich-Straße machte ich meine ersten Aufnahmen, schlenderte weiter zum Bahnhof, dann rüber zum Einkaufszentrum Sophienhof, durch die Fußgängerzone bis zur so genannten Kieler Altstadt.

Szenenmaterial auf dem Handy

Ein elegisches Gefühl, kontrastiert mit fast lustvoll durchlebten sentimentalen Schauern, machte sich breit. Was für Bilder, was für Eindrücke? Ein helles Kiel im sonnendurchstrahlten, ostwindkalten Frühlingswetter. Wie leergefegt. Und diese Leere wirkte je leerer, desto singulärer sich ein paar Passanten darin verloren. Ein schläfriger Straßenmusikant mit seinem Akkordeon vorm Drogeriemarkt hockend. Eine grüne Bikerjacke mit Träger in zugiger Eile die ungewohnte Freiheit durchradelnd. Ein, zwei PKWs in staulosem Erstaunen auf ödem Asphalt. Selbst die Ersatz-Kieler, die Touristen, die sonst hier vertretungshalber ihre Saison pflegen, sprudelten nicht durch die Stadt.

Es war so wie sonst am ersten Tag der Sommerferien. Die Fördestadt hatte ihre Bordsteinkanten hochgeklappt und schien vor sich hinzudösen. Der Alltag hatte frei, ewiger Sonntag schien angebrochen. Fast menschenlos: „Sag mir wo die Kieler sind. Wo sind sie geblieben?“ – Zwei Tage später zog ich noch einmal los. Diesmal begleitet von Bernd Fiedler und seinem kleinen Camcorder, mit dem er schon seit Jahren wie verwachsen scheint.

Co-Kameramann Bernd Fiedler auf dem menschenleeren Holstenplatz

Insgesamt spazierte ich so alleine und zu zweit rund 300 Minuten durch die Landeshauptstadt und blieb dabei Drohnen-frei auf dem Boden der Tatsachen so zu sagen, ohne der Versuchung zu erliegen, die Bilder zusätzlich zu ihrem dokumentarischen Charakter noch zu ästhetisieren.

So langatmig wie diese Corona-Pandemie auf einer ungeduldigen Welt lastet, so flüchtig wirken diese Bilder schon jetzt wenige Wochen später, Ende April 2020, auf mich. Obwohl bzw. weil dieser viereinhalb Minuten kurze Clip mit dem Titel „Corona-Kiel, 26.03.2020“ relativ oft gesehen wurde (auf Facebook über 14.000 mal, auch häufig weiter gepostet), wurde er auch viel gescholten.

Besonders die unterlegte Musik, „Robo Dance“, ist für viele gewöhnungsbedürftig mit ihrem, ruppigen elektronischen Klang, ihrem stolpernden Rhythmus und ihrer beim ersten Hören uneingängigen Melodie. Viele wollen nicht verstehen bzw. akzeptieren, dass ich mit dieser relativ unorthodoxen Instrumentalisierung einer zu unterhaltsamen Aufnahme des Films entgegenwirken will. Mögen manche Bilder der Leere auch noch so schön und großartig wirken, Corona bleibt tragisch, ist ein sehr großes Unglück.

„Corona-Kiel, 26.03.2020“. D 2020, 4:23 Min.; Kamera: Helmut Schulzeck und Bernd Fiedler; Musik: „Robo Dance“ (musicfox.com); Buch, Schnitt und Regie: Helmut Schulzeck. Eine ElektronikKlumpenFilmprorduktion, Helmut Schulzeck


Hinweis der Redaktion:

Der Kieler Filmemacher Gerald Grote (EinfallsReich Film) sucht für einen Film mit dem Arbeitstitel „Fieberhaft – Die Persönlichen Moment-Aufnahmen einer Krise“ privates Filmmaterial von Schleswig-HolsteinerInnen über die Corona-Krise. Näheres siehe hier oder unter www.film-fieber.com.