Kleckern statt Klotzen: Das Kieler Theater plant seine kommende Spielzeit unter Corona-Verhältnissen

Von Christoph Munk

Kiel. In seinen schönsten Träumen entwirft das Theater seine eigene, andere Welt, im Idealfall eine Utopie. Doch gegen die irdischen Realitäten einer wuchernden Virus-Pandemie müssen auch die Darstellenden Künste ohnmächtig auf dem Boden der Tatsachen verharren. Und so bleibt auch den Kieler Bühnen keine andere Wahl, als ihre Pläne für die kommende Spielzeit nach den Bedingungen der Corona-Krise auszurichten. Nicht wegen herrschender Ängste oder ahnungsvoller Bedenklichkeiten, sondern gegen konkret erlassene Hygiene-Vorschriften setzt darum Generalintendant Daniel Karasek mit seinen Programmen ein knappes, aber vielfältiges Lebenszeichen – gegen Regeln, „die für uns tödlich sind“.

Daniel Karasek: „hygienisch und professionell“.

Die derzeit gültige „Landesverordnung zur Neufassung der Corona-Bekämpfungsverordnung“ zwingt die Theatermacher zu einer deutlich sichtbaren kämpferischen Gegenposition: Sie wollen zeigen, was bis Dezember während der bereits im August beginnenden Spielzeit dennoch möglich sein wird. Und gleichzeitig beflügelt sie die Hoffnung, dass vielleicht schon im Herbst, spätestens zum Jahreswechsel, entscheidende Lockerungen wirksam werden. Momentan aber ist erkennbar, dass große Einschränkungen zu kleinen Formaten zwingen. Alles soll „so eingerichtet sein, dass es professionell und hygienisch über die Bühne geht“, versichert Karasek. Wenig Zuschauer im Saal, weite Abstände zwischen den Akteuren, kein Duett-Gesang, kaum Blasinstrumente.

Singen mit gebotenem Abstand

Liederabende gehen immer. Logisch also, dass beide Häuser die Saison damit in Eigenproduktion beginnen: Mit „Max und Moritz – Wir wollen immer artig sein“ (Premiere: 15. August) orientieren sich Marko Gebbert und Zacharias Preen unverkennbar an Wilhelm Busch. Karasek führt zu Zeichnungen von Volker Sponholz Regie. Im Opernhaus verarbeiten Spielleiter Jörg Diekneite und Studienleiterin Bettina Rohrbeck mit „Balkonien“ (Premiere: 22. August) naheliegende Lockdown-Formate: Balkon-Gesänge von Mozart bis Donna Summer. Danach wird Corona-mäßig gestutzt: Karaseks ursprünglich für April geplante Mozart-Inszenierung „Die Gärtnerin aus Liebe“ (ab 12. September) wird mit Hilfe eines Erzählers verknappt; Lisa Gappel spitzt ihre ebenfalls aus dem April verschobene Tschechow-Produktion „Die Möwe“ (ab 29. August) thematisch zu: Nähe auf Distanz.

U. Frey: Leitender Operndramaturg

Unter dem Druck der Einschränkungen entsteht nichts Großes aus dem Kleinen: Immerhin kann Ulrich Frey, demnächst Leitender Opern-Dramaturg, auf das bewährte Rezept eines Familienvergnügens zurückgreifen: musikalischer Spaß zu animierten Comics. Cartoonist Joshua Held und Regisseur Pier Francesco Maestrini bringen in „Das Dschungelbuch“ (ab 2. Oktober) zur Musik von Giovanni Sollima den Urwald zum Klingen und Tanzen. Immerhin noch eine Novität: In der Oper „Il Cambise – Geliebter Feind“ (ab 12. Dezember) von Alessandro Scarlatti wagt die Choreografin Anja Jadryschnikova die Konfrontation von Barockmusik mit Urban Dance.

Dialog-Marathon und Monolog-Reigen

An das Konzept „Kleines Format auf großer Schauspiel-Bühne“ hält sich Daniel Karasek mit seinen weiteren beiden Inszenierungen: A. R. Gurneys Brief-Dialog „Love Letters“ (ab 25. September) und Alan Ayckbourns Dialog-Marathon „Raucher/Nichtraucher“ (ab 16. Oktober). Auch die Dramatisierung von Max Frischs Roman „Homo Faber“ (ab 10. Oktober) in der Regie von Johannes Ender und Ingrid Lausunds „Bin Nebenan. Monologe für Zuhause“ (ab 22. November), inszeniert von Annette Pullen, sollen kreative Möglichkeiten unter beschränkten Verhältnissen erproben. Und das diesjährige Weihnachtsmärchen, „Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin“ von Roland Schimmelpfennig (ab 21. November) spielt bewusst mit den Schwierigkeiten, Nähe zu finden.

Was unter den Probenbedingungen des Shutdowns entstehen konnte, zeigt das Kieler Tanztheater zu seiner Saisoneröffnung am 19. September: „Solitär“ – Solostücke der Companie – von Ballettchef Yaroslav Ivanenko zu einem Ganzen geformt. Ab 7. November folgt dann Ivanenkos Choreografie eine literarischen Klassikers: „Das Bildnis des Dorian Grey“ von Oscar Wilde.

Mobil: Astrid Großgasteiger

Junges Theater im Werftpark wird mobil

Aus den räumlich beschränkten Verhältnissen im Werftpark bricht das Junge Theater unter der Leitung von Astrid Großgasteiger mit mobilen Produktionen aus: Verfügbar außer Haus sind „Hikikomori“ (ab 30. August), Franz Kafkas „Die Verwandlung“ (ab 4. September), „Piratenmolly, Ahoi!“ (ab 6. September) und „Das Produkt“ von Mark Ravenhill (ab 24. Oktober). Mit ihrer Inszenierung des bekannten Märchens „Pinocchio“ bespielt Astrid Großgastieger wieder das feste Haus.

„Wir wollen Musiker für alle Kieler sein“

Generalmusikdirektor Benjamin Reiners blickt mit dem Programm seiner Philharmoniker bereits auf die gesamte Spielzeit 2020/21 voraus. Bevor der Konzertsaal im Kieler Schloss Herbst 2021 generalsaniert wird, sind neun große Konzerte geplant. Zunächst zwingen die Abstandsregelungen zu kleiner Besetzung: Zwei Programme würdigen Ludwig van Beethoven: Im September stellt sich der neue 1. Konzertmeister Dongyoung Lee mit der „Violinromanze Nr. 2“ als Solist vor, im November zeigt sich erstmals der diesjährige Artist in Residence, der Pianist Fabian Müller, mit Beethovens „Klavierkonzert Nr. 3“.

Die ganze Saison im Blick: GMD Reiners (Fotos Struck)

Dänische Musik von Carl Nielsen und Hans Abrahamsen steht anlässlich des deutsch-dänischen kulturellen Freundschaftsjahres im Oktober auf dem Programm. Weitere Höhepunkte versprechen das 7. Konzert (April 2021) zum Thema Um-Welt mit dem Alphorn-Solisten Arkady Shilkloper und das 9. Konzert  (Juni 2021), in dem der Geiger Frank Peter Zimmermann sein im März ausgefallenes Kieler Gastspiel mit Schumanns „Violinkonzert d-Moll“ nachholt.

„Wir wollen Musiker für alle Kieler sein.“ Diesem Bekenntnis folgend plant der Generalmusikdirektor ein reiches Zusatzangbot: zwei „Con-spirito“-Konzerte, vier Familienkonzerte und die Reihe „Küstenkidskonzerte“ mit Programmen für unterschiedliche Altersgruppen. Nachgeholt werden die Konzerte „Phil ENERGIE“ bei den Stadtwerken, das Gesprächs-Kammerkonzert „Philharmonische Debatten“ im Landeshaus, „Phil HARMONIE“ für Menschen mit Demenzerkrankung und „Phil 3.0“ im Computermuseum der FH Kiel. In Planung sind das Lunchkonzert „Phil PAUSE“ im Ratssaal des Alten Rathauses sowie „Phil ACADEMY“ mit den Akademien am Theater Kiel e.V.

Der Vorverkauf beginnt Anfang August

Die Pläne sind gemacht, die Spielzeithefte liegen vor. Doch die Plätze werden rar sein in allen Aufführungen der kommenden Saison. Die Abstandsregeln lassen im Moment im Opernhaus 100-150, im Schauspiel 80 Besucher zu. Im Schloss werden es bis zu 300 sein. Die Philharmonischen Konzerte werden darum jeweils viermal gespielt: am Sonntag um 11 Uhr und um 17 Uhr, am Montag und Dienstag jeweils um 19.30 Uhr. Ob auch in der Oper und im Sprechtheater die Zahl der Vorstellungen erhöht werden kann, will der Generalintendant wegen der komplizierten Dispositions-Bedingungen noch nicht voraussagen. Jedenfalls beginnt der allgemeine Vorverkauf am Donnerstag, 13. August, um 10 Uhr, für Abonnenten zwei Tage früher. Allerdings sind alle bisherigen Abos vorläufig ausgesetzt; stattdessen gibt es für die Inhaber Rabatte und Vorkaufsrechte.

Info und Termine: www.theater-kiel.de.