Die Landesmeisterschaften im Poetry Slam wurden als Live-Stream aus dem Rendsburger Nordkolleg übertragen

Von Jörg Meyer

Rendsburg. Etwas gespenstisch wirken die leeren grauen Betonwände im Nordkolleg, von wo die Landesmeisterschaften im Poetry Slam am Freitag per Live-Stream übertragen wurden. Dort gibt es weder Publikum, noch Teilnehmer, nur die Moderatoren Björn Högsdal und Michel Kühn, die eingangs dem Landeskulturverband danken, ohne dessen Unterstützung aus dem #KulturhilfeSH-Projektfond auch diese „Ersatzveranstaltung“ nicht möglich gewesen wäre. Und ein Ersatz ist dieses „Geisterspiel“, denn „Poetry Slam, der Dichterwettstreit auf der Bühne, lebt vom Publikum“, sagt Björn Högsdal, „Master of ceremony“ der schleswig-holsteinischen Slam-Szene.

Verliehen den Wanderpokal im leeren Studio: die Moderatoren Björn Högsdal (links) und Michel Kühn (Foto: Nordkolleg Live)

Die zehn Finalisten sind Bestplatzierte von Slams im ganzen Land noch vor Corona, denn auch die Qualifikationsrunden, früher in mehreren Städten abgehalten, fielen der Pandemie zum Opfer. Sie haben vorher je zwei Beiträge aufgenommen, einen für die Vorrunde und einen für das eventuelle Finale. Die werden jetzt von der Festplatte zugespielt, und Björn Högsdal bittet das virtuelle Publikum um einen „Riesenapplaus wenigstens bei euch zuhause im Kopf“.

Wenn Armin Sengbusch, Victoria Helene Bergemann, Carina Hansen, Lennart Hamann, Felix Treder, Selina Seemann, Danny Grimpe, Björn H. Katzur, Monika Mertens und Stefan Schwarck ihre Texte aus der Konserve vortragen, ist das Fehlen eines Gegenübers, das sie „anspielen“ können, deutlich spürbar. Eine Kameralinse ist eben kein lebendiges Publikum, dessen Feedback den Performer anfeuert. Aber Poeten kennen sich mit dem „Lock-down“, dem „Sprechen gegen eine Wand“ beim Schreiben ohnehin aus. Daher wird aus der Not eine Tugend, und viele Texte kreisen um das Thema des gerade in Krisenzeiten „einsamen Rufers in der Wüste“.

„Von Kunst leben heißt auch von viel Luft leben“: Vize-Landesmeisterin Selina Seemann (Foto: Nordkolleg Live)

Doch beim Poetry Slam als Performance-Kunst zählt nicht nur der Text, sondern auch der Vortrag, und so tragen seine quicklebendige Mimik und Gestik bei der Ansprache eines imaginären Publikums dazu bei, dass Lennart Hamann mit seinem Text über den angesichts der Lage hochaktuellen Zwist zwischen ewigen Opti- und Pessimisten mit 47,2 von 50 möglichen Punkten aus der ersten Vorrunde ins Finale einzieht. Dort trifft er auf Selina Seemann, die mit 46,7 Punkten in der zweiten Vorrunde die Nase vorn hat. Das Ergebnis ist denkbar knapp und steht der knisternden Spannung eines Events vor Live-Publikum in nichts nach: Mit weniger als einem Punkt Vorsprung (49,0 versus 48,2) wird Lennart Hamann Landesmeister. Aber Meister sind hier alle Poeten, nicht nur von den Wertungen der siebenköpfigen Internet-Jury her, sondern auch darin, in der Krise nicht zu verstummen.

Der Live-Stream ist weiterhin auf dem Youtube-Kanal des Nordkollegs online: www.youtube.com/watch?v=PHe_6-fQhD8 (ab 19. Minute)