Musiktheater unter Corona-Bedingungen: Mozarts Jugendwerk „Die Gärtnerin aus Liebe“ im Kieler Opernhaus

Von Christoph Munk

Kiel. Kann man unter dem Diktat der Vorschriften in Zeiten der Pandemie eine Oper aufführen? Man kann. Selbst wenn es sich um eine ursprünglich turbulente Opera buffa handelt, nämlich Wolfgang Amadeus Mozarts Jugendwerk „Die Gärtnerin aus Liebe“. Kiels Generalintendant Daniel Karasek tritt als Aufsicht führender Regisseur den Beweis dazu an. Auch wenn daraus eine weitgehend keimfreie, aber nach der Premiere immerhin respektvoll beklatschte Veranstaltung wird.

Gespräche auf Distanz: Mariasole Mainini und César Cortés; im Hintergrund: Fred Hoffmann. (Foto Olaf Struck)

Köstliche Liebeswirren unter anständigen Leuten. Fast zwangsläufig kommen mir dazu Heinrich Heines feine Verse in den Sinn: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen, die hat einen anderen…“ Und zum betrüblichen Ende heißt es dann bitterlich: „Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu; und wem sie just passieret, dem bricht das Herz entzwei.“. Nun, bei Mozart und seinem „Dramma giocoso“ heilt neben einem glücklichen Geschick vor allem die Musik gebrochene Herzen. Und Generalmusikdirektor Benjamin Reiners nimmt mit dem Philharmonischen Orchester die Komposition des knapp Neuzehnjährigen auf die leichte Schulter. Mit der instrumental angereicherten Prager Fassung von 1796 gelingen ihm feinsinnig transparente Klangbilder, federnd und fordernd musiziert, straff aber unbeschwert, selbst wenn es sich um finstere Angelegenheiten handelt wie etwa Wut, Nacht und Wahnsinn.

Die Kapelle ist diesmal im Hintergrund der Bühne platziert, die Claudia Spielmann als weiten, fürstlichen  Gartensalon gedacht hat. Vorn tut sich das szenische Spiel etwas schwerer. Denn im grün-weißen Park zwischen Buchsbaum-Dekorationen und kantigen Podesten muss das Corona-Diktat AHA befolgt werden: Abstand, Hygiene, Alltagsmaske. Und ich mag mich nicht entscheiden, ob das Reglement Daniel Karaseks Kunst der Personenführung behindert oder ihr eher entgegenkommt. Immerhin ergötzt sich der Regisseur durch neckische Übertreibungen an den engen Vorschriften und liefert so ganz nebenbei einen heiter-ironischen Beitrag zum ernsten Thema der Beziehungskomödie: gewollte Distanz, verhinderte Nähe.

Auf der Strecke bleiben Stimmung und Gefühl, denn wegen des Kontaktverbots wirken die Personen der Handlung wie kaum belebte Figuren. Sie scheinen unselbständig, also beinahe mechanisch auf ihre Plätze gestellt und schematisch bewegt, als existierten sie nur wie Puppen in einem Schaukasten. Und tatsächlich ordnet eine Art Museumsführer die Parade: Ein von Karasek und seinem Dramaturgen Ulrich Frey hinzugedichteter Erzähler, den Michael Müller-Kasztelan gekonnt als lustige Person gibt, also als einen Besserwisser, der sich charmant ans Publikum ranschmeißen darf.

Freilich fungiert dieser Spielleiter auch als Handlungserklärer, der sehr erfolgreich durch die verschlungene Geschichte mit ihren verwirrenden Liebeshändeln hilft. Denn die gekürzte Fassung enthält gewagte Sprünge: Secco-Rezitative raus, Nebenhandlungen gestrichen und empfindliche Lücken in den Reigen der Arien geschlagen. Das bringt Zeit. Bleiben doch von den fast drei Stunden Komposition knapp hundert Minuten übrig – mit Rücksicht auf die Bedingungen der Pandemie pausenlos abgeliefert.

Die falsche Braut: Virgidis Bergitte Unsgard und César Cortés.

Doch die entschlossenen Eingriffe verlangen Opfer. Die werden vor allem den singenden Darstellern abverlangt, die sich diszipliniert einsetzen, aber teilweise aus den Restbeständen ihrer Partien nur mit Mühe Charaktertiefe schöpfen können. So leidet das kleine Buffo-Paar erkennbar am Verlust von Arien: Sen Acar darf nur ahnen lassen, dass in der gewitzten Dienerin Serpetta eine jüngere Schwester der Despina aus „Cosi“ stecken könnte. Matteo Maria Ferretti hat kaum Gelegenheit, den Gärtner Nardo über einen Bass-Tölpel hinaus zu entwickeln. Und auch Fred Hoffmann bleibt wenig Material, dem Podestà Don Anchise ein passables Profil zu verleihen. Immerhin erobert Vigidis Bergitte Unsgard mit energischer Gesangslinie und wehrhaftem Temperament der Arminda dramatische Durchsetzungskraft, während Tatia Jibladze als Cavaliere Ramiro ausdrucksstark die Skala zwischen Leiden und Hoffnung besingt.

Auch die beiden großen Partien bleiben nicht ganz unangetastet. Dennoch entwirft  César Cortés mit nobler Tenorkultur und beweglichem Spiel als Graf Belfiore die ganze reizvolle Bandbreite des wankelmütigen Liebhabers. Mariasole Mainini aber behauptet sich als die verliebte Gärtnerin im Zentrum der Aufführung mit allen Facetten der Partie: wehmütige Klage, hingebungsvolle Entschlossenheit, endlich Glücksgefühl – all dies im Balsam eines leuchtenden Soprans.

Es ist wie es ist: Unter den vorherrschenden Bedingungen scheint das Spiel auf der Bühne nur unter erheblichen Einschränkungen möglich. Verloren geht dabei die Dynamik der Aktionen, denn die Mechanik des schematisierten Räderwerks  droht stellenweise zu stocken. Und weitgehend entfallen betörende Stimmungen. Etwa im Finale des zweiten Akts, wenn die Magie der Nachtszene ausbleibt und so der Wahnsinn der herumirrenden Personen keinen Ausdruck findet. Inszenatorisch ist das ähnlich gebaute „Figaro“-Finale noch nicht einmal zu ahnen. Stattdessen wird die Fantasie des Publikums im ausgedünnten Auditorium überstrapaziert. Mir hat es in solchen keimfreien Momenten geholfen, Karaseks karge Inszenierung wenigstens als ironische Präsentation von Mozarts Frühwerk zu verstehen.

Info und Termine: www.theater-kiel.de