Daniel Karasek inszeniert das Erfolgsstück „Love Letters“ von A.R. Gurney am Kieler Schauspielhaus

Von Hannes Hansen

Jennifer Böhm und Christian Kämpfer in Daniel Karaseks Inszenierung von A.R. Gurneys Broadway-Erfolg „Love Letters“ (Foto: Olaf Struck)

Zwei Menschen auf der Bühne, die sich Liebesbriefe vorlesen – gibt es etwas Langweiligeres? Nun, Jennifer Böhm und Christian Kämpfer zeigen in Daniel Karaseks Inszenierung von A.R. Gurneys Broadway-Erfolg „Love Letters“ (1988) am Kieler Schauspielhaus, dass das nicht so sein muss. Mich jedenfalls hat die Geschichte des ungleichen Paars Andy und Melissa aus New York, deren Beziehung sich überwiegend in einem langanhaltenden Briefverkehr ausdrückt, gepackt. Ich saß, manchmal mit geschlossenen Augen, im weitgehend leeren Zuschauerraum und lauschte, zunehmend hineingezogen in die Story, der Geschichte einer weitgehend unerfüllten Liebe.

Einer Liebe, die ganz unscheinbar, ganz kindlich-komisch beginnt mit kurzen Zettelchen und Notizen, die sich Andy und Melissa. Schüler und Schülerin in der gleichen Klasse, schreiben. In ihnen wird eine Kindheit mit ihrer Schönheit und ihren Schrecken evoziert, werden Hoffnung und Angst, schüchterne Bekenntnisse von Zuneigung und aufkeimende Eifersucht deutlich.

Jennifer Böhm in Daniel Karaseks Inszenierung von A.R. Gurneys Broadway-Erfolg „Love Letters“ (Foto: Olaf Struck)

Sie werden sich im Laufe von an die fünfzig Jahren noch viele Briefe schreiben, der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Andy und Melissa, die Tochter aus reichem Elternhaus. Er, ein braver, strebsamer Bürger, der genau weiß, was er will, manchmal ein Spießer und Feigling, sie eine rebellische, emotional chaotische Frau, die nur erkennt, was sie nicht will. Er wird Karriere machen als Offizier, Anwalt und schließlich als Senator seines Heimatstaats, wird heiraten und Vater werden. Sie wird ihr Talent als Malerin verschleudern, unglückliche Liebesbeziehungen und Ehen eingehen, ihre Kinder verlieren und schließlich als Alkoholikerin enden. Nur ein einziges Mal wird die meist unausgesprochene Liebe für wenige Augenblicke des Glücks manifest, Augenblicke, die trotz der Katastrophe, in der sie enden, beiden unvergesslich bleiben.

Christian Kämpfer in Daniel Karaseks Inszenierung von A.R. Gurneys Broadway-Erfolg „Love Letters“ (Foto: Olaf Struck)

Mit „Love Letters“ hat der US-amerikanische Dramatiker A.R. Gurney (Jahrgang 1930) ein subtiles Kammerspiel geschrieben, das die Klippen Kitsch und Banalität, die einem solchen Thema drohen, geschickt umschifft. Es bietet gebrochene Gefühle ohne Sentimentalität, Sentiment ohne Rührseligkeit. Dass es auch auf der Kieler Bühne in seinen Bann zu ziehen weiß, ist der Sprechkunst und Mimik und Gestik Jennifer Böhms und Christian Kämpfers zu verdanken. Daniel Karaseks Regie lässt sie das Stück auf eindrückliche Weise verlebendigen und die Vergangenheit zur unmittelbaren Gegenwart werden. So verzichten sie fast durchgehend auf ganz große Dramatik und Getöse – und wenn nicht, dann wirkt das umso eindrücklicher und macht deutlich, dass der Gefühlsvulkan, der auf je unterschiedliche Weise in ihnen nur schlummert, jederzeit wieder ausbrechen könnte.

Nina Sievers‘ Bühne und Ausstattung tun ein Übriges, die Unvereinbarkeit der Charaktere von Melissa und Andy bei gleichzeitiger Verbundenheit deutlich zu machen. Auf einem schräg zerschnittenen, gleichwohl vereinigten Fußboden steht ein langer, durchgehender Tisch, an dem sie, dem Publikum frontal zugewandt, sitzen und ihre Briefe vorlesen. Melissas Hälfte – ein verspieltes Stilmöbel, seine – einfach praktisch.

Dezente Hintergrundmusik akzentuiert die vergehende Zeit und so hören wir, wie Glenn Miller und Queen wechselnde Seelenzustände der Akteure untermalen, wie Marlene Dietrich die „Boys in the backroom“ anfeuert und die Beatles „Eleanor Rigby’s“ Einsamkeit beklagen.

Fazit: Gutes Stück, gelungene Inszenierung, überzeugende Schauspieler*in.

Termine: www.theater-kiel.de