Ein Ohr auf zwei Klanginstallationen beim Frequenz-Festival

Von Jörg Meyer

Kiel. Abstand zu halten im engen Gang zum Sinneraum im Musiculum, wo am ersten Tag des Frequenz-Festivals für jeweils nur sechs Zuhörer die Uraufführung von Julia Mihálys audio-visueller Installation „Oh, das Universum, denken sie“ läuft, ist so schwierig wie in einem Rettungsboot. Die Notrufe von letzteren und Funksprüche von Schiffen, die zu Hilfe eilen, aber dann im rettenden Hafen abgewiesen werden, hört man schon von draußen.

Weit mehr als die Opfer des Untergangs der Titanic sind bei der Flucht über das Mittelmeer ertrunken, eine tägliche Tragödie, vor der wir im sicheren Europa oft die Augen verschließen. Wie die Strand-Urlauber, über die sich Sibylle Berg in ihrer Satire „Helges Leben“ bitter lustig macht, wenn sie im Meer die Weite des Universums genüsslich erahnen, was der Installation den Titel gab. Diejenigen, die womöglich irgendwann sagen werden, sie hätten nichts davon gewusst, will Mihály die Ohren öffnen – mit bedrohlichem und das Gehör bedrängendem Grummeln von Schiffsdieseln und dem tödlichen Meer.

Sinnbild der Hoffnung in der Verzweiflung in Julia Mihálys audio-visueller Installation „Oh, das Universum, denken sie“ (Foto: Julia Mihály)

Doch Wasser kann auch Leben spenden. So sehen wir im Kontrast zum Sound auf der Leinwand ein kleines Pflänzchen, das in der Nische einer Mauer wächst, bewässert von einer Pfütze. Ein Sinnbild für die Hoffnung der Flüchtenden auf ein besseres Leben jenseits der Mauer um Europa.

In großer Not war auch Beethoven, als er ab 1818 fast ertaubt war. Seine Musik hörte er nur noch gestört durch einen Tinnitus, mit seiner Umgebung verständigte er sich über die „Konversationshefte“ schriftlich. Beides verbinden die Designerin und Kalligrafin Marleen Krallmann und die Komponistin und Klangkünstlerin Maya Shenfeld in ihrer Performance „Mute Sound Word. Talking with Beethoven“.

Shenfeld verfremdet Beethovens Musik elektronisch zu jener dumpf dröhnenden Klangverzerrung, die er durch den Filter der beinahe Taubheit gehört haben mag. Ganz kurz flammen jedoch die reinen Klänge auf, weil Beethoven die Musik zwar nicht mehr hören, aber immer noch denken konnte.

Dazu schreibt Krallmann mit einem langen Pinsel, wie man ihn von der Kalligrafie des chinesischen Shodō (Weg des Schreibens) kennt, Worte auf eine endlose Papierrolle, etwa „Schwerhörigkeit“ oder „Ungenügen“. Die Zeilen überlappen sich dabei zur Unleserlichkeit und die Schrift wird zum Ornament. Sie verblasst, wenn dem Pinsel die Farbe ausgeht. Der visuelle Eindruck spiegelt so das Verschwinden der Klänge im Ohrgeräusch. Ein bewegendes Bild synästhetischer Sinnlichkeit – selbst (oder gerade) im Schwinden der Sinne.

Infos und weitere Termine: www.frequenz-festival.de.