Markus Dentler ist Krapp in Becketts „Das Letzte Band“
Von Hannes Hansen

Kieler Theater Die Komödianten
Samuel Beckett: „Das letzte Band” (Krapp’s Last Tape): Markus Dentler als Krapp, Regie: Ivan Dentler
Kiel. Krapp, ein altersschwacher, heruntergekommener Mann, sitzt an seinem neunundsechzigsten Geburtstag an einem Tisch und hört sich auf einem uralten Tonbandgerät dreißig Jahre alte Aufnahmen an, auf denen er sein bisheriges Leben wechselnd zynisch, in schönen Erinnerungen schwelgend oder wütend kommentiert. Er folgt diesen Erinnerungen an eine in manchem hoffnungsfrohe Zeit meist schweigend oder kommentiert sie mit meckerndem Lachen und wegwerfenden Gesten. Immer wieder unterbricht er die Wiedergabe, um bewegungslos vor sich hinzustarren oder in einem Kabuff hinter der Bühne Alkohol zu trinken.
Das ist die Grundidee von Becketts Einakter „Das letzte Band“ aus dem Jahre 1958. Das Stück lebt von dem Widerspruch zwischen Krapps Erinnerungen an seine Jugendzeit und dem einstigem Aufbegehren eines Erwachsenen im besten Mannesalter und jetziger Hoffnungslosigkeit, von Freude am Leben, kraftvollem Realitätssinn und Resignation.
Auf der Kieler Bühne der „Komödianten“ ist Markus Dentler dieser Krapp. Für die Inszenierung seines Sohns Ivan Dentler hat er mit ihm eine Konzeption entwickelt, die das über sechzig Jahre alte Stück entschlossen in die Gegenwart hieven soll. Schon vor vielen Jahren hat Vater Dentler Krapps Erinnerungen auf Videobändern aufgezeichnet und spielt diese jetzt für das Publikum sichtbar auf einem Fernsehgerät ab. Das aber erweist sich als der entscheidende Fehler der Inszenierung. Denn wo Becketts Stück seine Kraft aus dem Gegeneinander von archivierter menschlicher Stimme und gegenwärtigem stummen Spiel bezieht, dem Schauspieler viel gestische und mimische Interpretationsfreiheit gibt, ihn „spielen“ lässt und zum Mittelpunkt des Bühnengeschehens macht, lenkt der Dentlersche Entwurf den Blick notgedrungen auf die Videoaufnahmen und lässt den gegenwärtigen Protagonisten fast als Nebenfigur erscheinen. So entzieht sie ihm das Interesse des Zuschauers und mit ihm jede Möglichkeit, Krapp jenen letzten Rest menschlicher Würde zu geben, der über die clownesken Anteile zu triumphieren vermag, die Becketts Stück ja durchaus hat.
Vielleicht um das zu kompensieren und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, vielleicht aber auch weil der Erzkomödiant Markus Dentler es einfach nicht anders will, betont er die Clownerien über Gebühr, macht – in den Videoaufnahmen, die nur sein Gesicht zeigen, wie auf der Bühne – Faxen, degradiert seine Figur zur Karikatur und nimmt ihr jedes Geheimnis.
Ein Lichtblick hingegen Timo Dentlers und Okarina Peters Bühnenbild, das mit einer Riesenmenge ineinander verknäulter, schwarz blinkender Videobänder Krapps Seelenzustand sinnfällig widerspiegelt.
Infos & Termine: Theater Die Komödianten
24. Oktober 2020 um 9:41
Guten Morgen,
vorweg, ich habe das Stück nicht gesehen.
Ich stelle mir der Rezension wegen jedoch Fragen.
Ist es wirklich nötig, in Zeiten, in welchen es KünstlerInnen so
unfassbar schwer haben, eine derartige Kritik zu schreiben?
Hätte man bei Nichtgefallen, es nicht lieber für sich behalten können? Das eigene Ego, den eigenen Mitteilungsdrang zur Seite legen können?
Können bzw. wollen die Leser sich tatsächlich ein eigenes Bild machen? Aus Erfahrung kann ich berichten, dass dies die wenigsten tun werden.
Eine negative Kritik kann ein Stück ruinieren. Und so frage ich nochmals, hätte das wirklich sein müssen?
25. Oktober 2020 um 20:50
Moin! Die Kritik bemüht sich um Differenzierung, doch ich stimme Fiete zu. Ich kann rezensieren, ohne Künstler und Inszenierung zu vernichten. Etwas mehr eigene Offenheit gegenüber einer vielleicht zu eigenwilligen Interpretation hätte Kritik und Kritiker gut zu Gesicht gestanden. Ich werde mir das Stück ansehen