Das Kieler Philharmonische Orchester auf der Spur großer Gefühle
Von Jörg Meyer
Kiel. „Hygge“ nennen die Dänen ein besonderes Gefühl zwischen lichter Lebensfreude, heimeliger Geborgenheit und einer Spur romantischer Melancholie. Das passt zum „Deutsch-Dänischen kulturellen Freundschaftsjahr“, zur Jahreszeit und bietet nicht zuletzt die wichtige Portion Hoffnung in einer Zeit großer Verunsicherung durch die Corona-Pandemie. So steht die „Jubiläums-Hygge“ als Motto über dem 2. Philharmonischen Konzert unter Leitung von Kapellmeister Daniel Carlberg, das um große Gefühle in der Musik kreist.
Große Gefühle, da denkt man an romantisches Pathos, aber nordisch gefühlt ist es eben eher „Hygge“, wie sie keiner besser eingefangen hat als der dänische Nationalkomponist Carl Nielsen schon in seinem Opus 1, der „Lille Suite a-Moll“ für Streichorchester. Die Philharmoniker beginnen das „Präludium“ trotz der gewichtigen a-Moll-Synkopen als Anklang an eine barocke französische Ouvertüre mit federnder Leichtigkeit. Moll steht hier nicht für Schwere, sondern gesetzte Ruhe und gediegene Geborgenheit, wie sie auch im samtig warmen Streicherklang des „Finale“ unmittelbar fühlbar werden. Dazwischen steht das „Intermezzo“ mit seiner volksmusikalisch tänzerischen Geste, die trotz verspielten Walzerrhythmus’ nicht nur geografisch fern von jedweder Wiener Walzerseligkeit bleibt.
„Die Musik ist ein Bild der Musik. Was man hört, sind Bilder“, ist das musikalische Credo des 1952 geborenen, bekanntesten zeitgenössischen dänischen Komponisten Hans Abrahamsen – nicht nur für seine „Märchenbilder“ (1984). In kammermusikalischer Besetzung von nur 14 Musizierenden lässt das Orchester neumusikalische Klänge flirren und flattern und entwirft sechs Bilder in drei Sätzen als ein ungemein klangfarbiges Kaleidoskop. Daniel Carlberg und dem Orchester ist die Spielfreude an diesem bunten, komplexen Klanggeflecht anzumerken, besonders den Holzbläsern im an Griegs „Peer-Gynt-Suite“ erinnernden „Andante alla marcia“ und den scharfkantigen Blechbläsern im „Scherzo prestissimo“. Die Spannungen zwischen aufbrausender Dramatik und ruhigem Glitzern des Sonnenlichts auf dem Wasser, um ein Bild zu nennen, das sich unwillkürlich beim Hören einstellt, lotet das Orchester minutiös aus.
Arnold Schönbergs Tondichtung „Verklärte Nacht“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Richard Dehmel ist zwar von Skandinavien örtlich weit entfernt, erstaunlicherweise aber nicht von einem Gefühls-Mix wie dem der „Hygge“. Das Opus 4 stammt aus Schönbergs früher Schaffensperiode vor der streng konstruierten 12-Ton-Musik und gilt in seinem deklamatorischen Gestus als spätromantisch expressionistisch. Dass es dennoch nicht in Pathos ertrinkt, beweist Carlberg, indem er das Streichorchester ungewohnt aufstellt, nämlich mit Celli und Kontrabässen zwischen den Geigen rechts und links. Das schafft nicht nur Klangschärfe, sondern kommt auch der dialektisch-dialogischen Struktur des Werkes zugute, dem Gespräch zwischen den Liebenden und dem Wechsel der großen Gefühle zwischen tiefer Verzweiflung und Hoffnung im Humanen.
Weitere Aufführungen 26. und 27.10. jeweils 19.30 Uhr im Großen Konzertsaal am Kieler Schloss. Online-Einführung von Waltraut Lach auf dem Youtube-Kanal des Theaters Kiel. Karten: Tel. 0431 / 901901 und www.theater-kiel.de.
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