Der Opernchor mit Verdis „Quattro pezzi sacri“ und ausgewählten Opernchören im Kieler Schloss
Von Jörg Meyer
Kiel. Ein „denkwürdiges Konzert“ kündigte die Musiktheaterdramaturgin Eva Bunzel am Sonntag im Großen Konzertsaal des Kieler Schlosses an. Eigentlich wollte sich der Opernchor, der wegen der Corona-Pandemie seit März nicht mehr auftreten konnte, mit Giuseppe Verdis selten gesungenen „Quattro pezzi sacri“ plus drei Chören aus Opern des Meisters auf der Bühne zurückmelden. Doch durch den neuerlichen Lockdown war die „Auferstehung“ vor gut 100 Zuhörern – die Regelung von maximal 100 war kurzfristig noch einmal gelockert worden – gleichzeitig ein Abgesang für mindestens vier Wochen.
Auferstehung und Abgesang liegen freilich ebenso eng beieinander in den „Vier geistlichen Stücken“, die der gläubige Katholik Verdi am Ende seines Lebens und des 19. Jahrhunderts, also einer Zeitenwende, wie wir sie vielleicht gerade wieder erleben, schrieb. Das „Te Deum“ gilt gar als sein letztes größeres Werk. Insofern ist das Programm sehr passend für dieses „denkwürdige Konzert“ unter Leitung von Lam Tran Dinh und in der Klavierfassung mit Solorepetitor John Spencer an sehr zurückgenommenen Tasten.
Der Kontrast zwischen inniger Zurückgezogenheit im weich wogenden Mezzopiano und kämpferisch aufbegehrendem Fortissimo der Pilger in „Gerusalem“ aus der Oper „I Lombardi“ bietet dem Chor gleich zu Beginn die Möglichkeit, seine ganze dynamische Bandbreite zu zeigen. Die den Corona-Bedingungen geschuldete Aufstellung der Stimmen mit großem Abstand erweist sich schon hier als Gewinn, statt als Einschränkung, denn das Fortissimo wirkt darin ungemein klar geschärft, ohne dass, wie man befürchten könnte, die Homogenität des Chorklangs leidet. Auferstehung und Paradies scheinen auch im sanftmütigen A cappella der Frauen im darauf folgenden „Laudi alla Vergine Maria“ auf, nicht nur wegen des Dantes „Göttlicher Komödie“ entnommenen „Paradiso“-Gesangs.
Damit korrespondierend und zugleich in mächtigem Forte kontrastierend ist der Abgesang der Hebräer auf das vor der Eroberung stehende Jerusalem in „Gli arredi festivi“ aus „Nabucco“, das dem „Te Deum“ vorangeht. Letzteres beginnt mit gregorianischen Männerstimmen wiederum sehr verinnerlicht. Verdi hatte es bewusst nicht als Jubel- und Siegesgesang vertont, sondern als flehendes „Gebet, das aufgewühlt, traurig ist, bis zum Schrecken“. Der Chor folgt solcher Intention eindrücklich. Als Klage-, nicht Kampflied interpretiert er ebenso das „Patria oppressa“ aus „Macbeth“.
Die harmonischen Herausforderungen des ersten der „Quattro pezzi“, des „Ave Maria“, das Verdi auf eine „enigmatische Tonleiter“ als Lösung eines musikalischen Rätsels einer Musikzeitschrift komponierte, erfüllt der Chor mit Bravour. Erneut kommt die ungewöhnliche Choraufstellung der Transparenz des komplexen Klanggewebes zugute und macht es zum wohl denkwürdigsten Stück des Abends. Am Schluss steht das „Stabat Mater“ mit seinen expressiven Gefühlsausbrüchen bis hin zur Hoffnung auf das Paradies, das es vielleicht doch noch auf Erden gibt, wenn aus – Lockdown-bedingter – Vereinzelung Vereinigung wird. Und wenn die Gedanken wieder Flügel bekommen wie im zugegebenen „Gefangenenchor“ aus „Nabucco“, für den wie für das gesamte Chorkonzert die Ovationen stehende sind.
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