Schleswig-Holsteinisches Dekameron: Teil 36

Rosa Krongard erzählt:

Von Ingrid Glienke

Kürzlich fand ich mich in einem Geschäft für Malerei, Schneiderei – und allgemeinen Künstlerbedarf wieder. Ein riesiger Raum, der mir nicht nur die Materialien bot, sondern auch die Möglichkeit, an den Dingen zu arbeiten, die ich herstellen wollte. Lange Tische standen großzügig im Raum verteilt, schmal wie in den Speisesälen der englischen Colleges. An diesen Tischen konnte man mit mitgebrachten und den im Laden erstandenen Materialien werken.

Ich stand einen Moment in der Tür, ging dann durch den Raum zu einem Arbeitstisch am gegenüberliegenden Ende, der vor einem Fenster mit Aussicht auf den Garten stand. Draußen blühten die Apfelbäume.

Vor mir lag eine Faltschachtel aus japanischem Origami-Papier. Sie war einfarbig, silbergrau, und ich hatte einige zarte Pastellfarben erworben, mit denen ich beabsichtigte, sie zu verzieren. Eine Zackenlitze wollte ich um den Rand legen, auf die Seitenteile kleine Friesstreifen aus sich wiederholenden Halbkreisen pinseln. Ich wählte die Farben und variierte die Größen der Muster, ohne lange darüber nachzudenken. Zwischendurch wusch ich mir die Hände an einem blauschimmernden Waschbecken, das in der Nähe meines Tisches installiert war. Es waren sogar mehrere Waschbecken übereinander. Auf Schwenkarmen, die nach rechts oder links beweglich waren, so dass alle drei gleichzeitig genutzt werden konnten. Das unterste war ein kleines Waschbecken mit einem aparten Zitronen-Apfelsinenmuster, auf dem sich zwischen einzelnen Früchten lange hellgrün glitzernde Blätter-Girlanden wanden. Darüber mein größeres Becken mit elegantem Schwung wie ein Colani-Objekt. Auf der perlmuttschimmernden Oberfläche waren rosenartige Blätter in verschiedenen Hellblautönen verstreut. Für mich war es etwas zu hoch angebracht, aber das untere Waschbecken war eindeutig zu niedrig, und das mit kräftigen Rottönen, das ganz oben thronte, war so hoch, dass ich nicht einmal hineinsehen konnte.

Es beunruhigte mich, dass meine Statur nicht die erwartete Normgröße aufwies. Während ich darüber nachsann, ertönte plötzlich ein lautes Geschrei von der Eingangstür am anderen Ende des Raums. Ich spülte mir die Farbe von den Fingern, so dass die verschiedenen Pastelltöne in feinen Rinnsalen über die Porzellanschüssel flossen, während ich mich umsah.

Ein Mann und eine Frau standen dort mit drei jämmerlich weinenden Kindern, die etwas umklammert hielten, das ich zunächst nicht erkennen konnte. Aber dann sah ich, dass alle drei Kinder einen Teddy im Arm hielten. Es waren Teddys verschiedener Größen, die dem Körpermaß der Kinder entsprachen. Während die Familie mit den weinenden Kleinen einen Tisch suchte, füllte sich der Raum. Es versammelten sich immer mehr Eltern. Auf jeden Fall glaubte ich, sie seien Eltern. Alle hielten sie weinende Kinder an der Hand, die ihre Teddys an sich drückten.

„Warum sind diese Kinder so unglücklich?“, fragte ich einen der netten Angestellten. „Sie weinen ohne Grund“, sagte er, „die Eltern wollen die Bären mit neuem Stoff beziehen, was doch nicht verwerflich ist. Umso besser werden die Kinder später mit ihnen kuscheln können.“ Er sah mir Zustimmung heischend in die Augen.

Die erste Familie hatte sich einen Tisch in meiner Nähe ausgesucht. Jetzt sah ich, dass auf der langen Holzplatte, vor der sie standen, ein Stoffballen aus honiggelbem Plüsch lag. Die Mutter rollte das Material aus, doppelte es, und der Vater verteilte drei Papierschnittmuster darauf. Teddybär-Körper mit Armen und Beinen in drei verschiedenen Größen. Während die Eltern mit den Schnittmustern beschäftigt waren, redeten sie auf ihre schluchzenden Kinder ein.

„Es wird so schön werden“, sagte die Mutter. „Ihr werdet sehen, wenn erst einmal das alte Fell runter ist!“ Der Vater griff nach einer auf dem Tisch bereit liegenden Schere, und während er auf das älteste Kind, ein kleines Mädchen, einredete und ihm den Bär aus den Armen zog, hielt die Mutter die beiden jüngeren eng an sich gepresst und sprach beruhigend auf sie ein.

„Entschuldigen Sie“, sagte ich zu dem netten Angestellten und begann, meine Materialen zusammenzupacken, „ich glaube, ich bin zur falschen Zeit gekommen. Ich wusste nicht, dass Sie heute einen Schneiderkurs abhalten.“ Er wirkte enttäuscht, antwortete aber zunächst nicht. Ich glaube, ich blickte daraufhin etwas ungehalten um mich. Auf allen Tischen lagen Stoffballen in verschiedenfarbigen Plüschqualitäten, wahrscheinlich Wollplüsch oder Seidenplüsch mit weichem Griff, sowie kleine und große Scheren, Nadeln und Garn. Kinder, die herumkrakeelten, und Erwachsene, die auf sie einredeten, umringten die Tische. Auf einem Tisch hinter mir lag – das erkannte ich dank meiner langjährigen Erfahrung – ein feinwuscheliger Ballen aus Angorawolle, etwas weiter entfernt ein Material, das mir grober schien. War es ein Gewirk aus Yak oder Pferdehaar?

„Sie sind herzlich willkommen zu bleiben“, sagte plötzlich der Angestellte, der wieder überaus freundlich auf mich wirkte. Seine klare Stimme übertönte alle Geräusche im Raum. „Für Ihre Statur haben wir leider kein Schnittmuster vorrätig, aber einer meiner Mitarbeiter wird es gern für Sie entwickeln. Bittschön!“ Er deutete auf meinen Tisch, als solle ich mich hinlegen. Da ich meine Sachen eingepackt hatte, lag nur noch eine große Schere darauf. „Wir brauchen ihr Körpermaß von Kopf bis Fuß und eine Gewichtangabe. Ebenso die Arm- und Beinlänge. Und Ihren Materialwunsch. Etwas Feinfadriges vielleicht? Mit weichem Griff? Wenn Sie eine Vorliebe für ein bestimmtes Material aus unserem reichhaltigen Sortiment haben, bittschön, wir sind immer für Sie da!“

Zögernd erwiderte ich sein Lächeln. „Nein, nein“, ertönte plötzlich eine Kinderstimme. Das kleine Mädchen vom Nebentisch schoss auf mich zu, ihren Teddy im Arm. Von seinem rechten Bein hing das aufgeschlitzte graue Fell herunter. Das Mädchen nahm blitzschnell meine Hand, zog mich hinter sich her quer durch den großen Raum. Die anderen Erwachsenen und Kinder wichen vor uns zurück, so dass wir ohne Probleme die Tür erreichten. Wir gingen durch einen langen Gang und kamen in den Garten.

Dort setzten wir uns ins Gras in den Schatten eines Apfelbaums. Ich besah das verletzte Bein ihres Teddys. Der Schaden war groß, aber zuversichtlich holte ich mein kleines Reiseetui mit Nähgarn, Nadeln und Schere hervor, suchte einen unauffälligen Faden und nähte das alte graue Fell wieder zusammen. Eine Weile blieben wir noch sitzen, während vereinzelte weiße Blütenblätter auf uns herabfielen, und fühlten uns herrlich entkommen.

Dann wurde es plötzlich sehr hell um uns herum. Die Konturen des kleinen Mädchens schienen sich aufzulösen. Ich blinzelte, brauchte aber eine Zeitlang, um zu begreifen, dass die Rotation der Erde diese Helligkeit mit sich brachte. Ich hatte darauf verzichtet, in meinem Zimmer die Gardinen zuzuziehen.


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