Ein Nachruf auf Hannes Hansen

Von Jörg Meyer

„Porrenpann“ sollte es am ersten Erzählabend auf der Hallig geben, auf die Hannes Hansen alias Sven Andresen eine Schar Autor*innen eingeladen hatte, um wie einst die Figuren aus Giovanni Boccaccios „Decamerone“ eine Pandemie Geschichten erzählend auszusitzen, damals die Pest, im „Schleswig-Holsteinischen Dekameron“ COVID-19. Dass Hansen darin das Exil auf der Hallig mit ebenso viel Lokalkolorit beschrieb wie das typisch norddeutsche Krabben-Gericht, dessen Rezept er natürlich gut recherchiert beifügte, zeigt exemplarisch die Arbeitsweise des am 21. September 2022 überraschend verstorbenen Journalisten und Autors.

Roman und Reportage, Feature und Fiktion waren in Hansens Werk eng verbunden. Er war, wie er augenzwinkernd selbst bekundete, mit einem „literarischen Bauchladen“ unterwegs. In dem gab es Journalistisches wie Kulturkritiken für die Zeitung (u.a. „Kieler Nachrichten“) und Rundfunkbeiträge, Reiseführer in die Nähe wie die Ferne (z.B. „Hannes Hansens Spaziergänge“ in drei Bänden), Sachbücher (zuletzt „Rund um Rum“ über die – norddeutsche – Geschichte des Rums) und natürlich Literatur, u.a. „Die Rilketerroristen“ (1995) und Jenes volle satte Gelb“ mit dem Untertitel „Zeitgeschichtlicher Roman aus der Wendezeit“ (2019), eine Hommage an Hansens Geburtsstadt Potsdam.

Dort am 21. Januar 1940 geboren, studierte Hansen in Kiel Germanistik und Anglistik auf Gymnasiallehramt und übte dieses als Lektor für deutsche Sprache und Literatur in Swansea (Wales) sowie in Dublin und schließlich wieder in Kiel aus. Parallel dazu arbeitete er seit 1994 für Rundfunk und Zeitungen – unterfüttert von einem umfangreichen Universalwissen und quer durch die kulturellen Sparten von Architektur bis Jazz und von Bildender Kunst bis Literatur – all das fand Platz in seinem „Bauchladen“.

Hansen scheute dabei auch den „anderen Blick“ und die Provokation nicht. In Helmut Schulzecks Dokumentaressay „Das Geheimnis von Kiel“ (2022) über die Kieler Stadtentwicklung und jüngste Bausünden bezeichnete er den neuen Gebäudekomplex an der Alten Feuerwache als „späte Missgeburt des Modernismus“. Schon 1986 hatte er mit seinem Vorschlag, das Marine-Ehrenmal in Laboe durch die Verpackungskünstler*innen Christo und Jeanne-Claude verhüllen zu lassen, für Aufsehen gesorgt. Hansen fühlte sich „an einen ‚gewaltigen und gewalttätigen Penis‘ erinnert, der wie eine ‚steingewordene Potenzgeste einer sich entmannt fühlenden Marine‘ in die Luft rage – eine ‚Demonstration von Männlichkeitswahn und Machtgelüsten‘.“ (zitiert aus: „Gewaltiger Rammsporn. Traditionsbewußte Seefahrer kämpfen gegen Pläne, ein aus der Nazizeit stammendes Ehrenmal umzugestalten“. In: Der Spiegel, Nr. 30/1986.) Es folgten eine Absage der Künstler*innen, juristische Scharmützel sowie ein Hausverbot, das aber einige Jahre später aufgehoben wurde.

Nochmal zurück zum „anderen Blick“, der Hannes Hansen eigen war und seine Arbeit befruchtete: Er hatte ihn auch auf die „Heimat“, das fremde Vertraute. „Heimat ist das, was man erkennt, wenn man nicht mehr dort ist“, sagte Hansen in einem Gespräch mit dem Kieler Journalisten und Autor Kai U. Jürgens anlässlich des Erscheinens seines letzten Romans „Jenes volle satte Gelb“. (zitiert nach: Kai U. Jürgens: Heimat erkennt man, wenn man fort ist“. In: Kieler Nachrichten, 5.11.2019). So trug seine nach „Hannes Hansens Spaziergänge“ (drei Bände, 1992) zweite Serie von Reisefeuilletons den Titel „Auf der Suche nach Schleswig-Holstein“ (zwei Bände, 2009/2010), bevor er diesen suchenden, stets wachen Blick nach Frankreich und Spanien und schließlich wieder in Europas Osten (Polen) richtete, was auch Niederschlag in diesem Blog in der Rubrik „Unterwegs“ fand.

Eine Reise in die vertraute Fremde (oder vice versa) ist auch Hannes Hansens letztes Projekt, das „Schleswig-Holsteinische Dekameron“, das nun wie dieser 2015 von ihm mitbegründete Blog der Fortführung harrt. Wir werden ihn und seinen immer gut gefüllten „Bauchladen“ dabei sehr vermissen.

(Dieser Nachruf wurde unter Verwendung von Teilen aus Kai U. Jürgens’ Beitrag über Hannes Hansen auf www.literaturland-sh.de verfasst. Der Autor dankt Kai U. Jürgens und dem Literaturhaus Schleswig-Holstein für die freundliche Genehmigung.)